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Der Herr der Kennzeichnungen

Was ist schwarz-weiß und piept? Barcodes ermöglichen unseren Konsum in der Form, wie ihr in kennen. Doch was steckt eigentlich dahinter? Barcodes und weltweit gültige Identifikationsnummern für Unternehmen werden heute von einer zentralen Länderorganisation vergeben. Philtrat sprach mit Christian Przybilla von GS1 Germany über den Umgang mit Ziffern, Codes und Akronymen im globalen Streben nach einheitlichen Standards.

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Foto: „barcode“ von Jaysk (FlickR) // CC BY-NC-SA

Philtrat: Herr Przybilla, ist Ihr Unternehmen in Deutschland allein für die Vergabe von sogenannten EAN/GTIN (European Article Number/Global Trade Item Number) zuständig, mit denen der Verbraucher etwa über die Form des Barcodes auf seinen Supermarkteinkäufen vertraut ist? Kennzeichnen Sie so nur Waren, oder auch anderes? Fallen hierunter beispielsweise auch Identifikationsnummern zur Kennzeichnung von Unternehmen?

Christian Przybilla: Ja, beides stimmt. GS1 Germany gehört zum weltweiten GS1-Netzwerk, dem 110 Länderorganisationen angehören. Um eine weltweit überschneidungsfreie Identifikation sicherzustellen, werden auch sogenannte GLNs (Global Location Number) für Unternehmen ausschließlich von den GS1-Länderorganisationen vergeben.

Sind bei der Ausarbeitung und Vergabe von Standards auch Vertreter staatlicher oder internationaler Organe in Gremien Ihres Unternehmens vertreten?

Der Austausch mit Vertretern staatlicher oder internationaler Organe findet zum einen über eigene Initiativen und über Verbände statt. Zum anderen verfügen unsere Kunden, die aktiv in Arbeitsgruppen an der Entwicklung von GS1 Standards und Empfehlungen mitarbeiten, gleichzeitig über gute Kontakte zu den entsprechenden Behörden. Auf internationaler Ebene schließt das GS1 Global Office in Brüssel darüber hinaus Vereinbarungen mit zahlreichen internationalen Organisationen wie der NATO oder der World Customs Organization (WCO).

Bestehen auch Kontakte zur Europäischen Union?

Ja, zum Beispiel zur Europäischen Kommission. Das geschieht auf thematischer Ebene, in Fragen eines europaeinheitlichen „Product Environmental Footprint“. Ein weiterer Link besteht über Unternehmensvertreter unserer Arbeitsgremien, die gleichzeitig auch in internationalen Steuerungsgruppen (z.B. beim Consumer Goods Forum) sitzen und so einen Austausch sicherstellen.

Können Sie beschreiben, worin der Nutzen standardisierter Kennzeichnungen in der Warenschöpfungskette besteht?

Wertschöpfungsketten effizienter zu gestalten, ist unser zentrales Unternehmensziel. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, gemeinsam mit Anwendern entsprechende Lösungen zu entwickeln. Standardorientierte Lösungen ermöglichen nicht nur eine effizientere Rückverfolgbarkeit, sondern auch die kontinuierliche Nachbevorratung, entsprechend der Nachfrage. In der Logistik unterstützen Standards etwa einen effizienten Warenumschlag und eine effiziente Ausnutzung von Lagern oder die Steuerung von Lkw-Frachtsstückzahlen.

Also gewinnen Konsumenten und Unternehmen dabei ein Stück weit an Sicherheit und Überblick?

Mittelpunkt aller Bemühungen um Effizienz ist der Konsument. Beim kooperativen Konzept, dem sogenannten ECR (Efficient Consumer Response) steht immer im Vordergrund, wie die Bedürfnisse des Konsumenten von Handel und Industrie bestmöglich erfüllt werden können. Empfehlungen auf Basis von Standards sorgen nicht nur für die effiziente Nachversorgung von Ware. Vermeidung von Regallücken oder das Management von Produktkategorien aus Konsumentensicht gehören ebenfalls dazu. Aber auch im Rahmen der Rückverfolgbarkeit profitieren Konsumenten von Standards. In Krankenhäusern ermöglichen gekennzeichnete Patientenarmbänder in Kombination mit Scannertechnologie mehr Sicherheit für den Patienten. So kann sichergestellt werden, dass der richtige Patient auch das richtige Medikament erhält.

Können einheitliche Standards aus Ihrer Sicht dabei helfen, eine „nachhaltigere“ Wertschöpfungskette zu ermöglichen, bis hin zum Konsumverhalten selbst?

Absolut. Die Nutzung von Standards als Voraussetzung für nachhaltigere Wertschöpfungsketten ist in der Tat eines der großen Zukunftsthemen. Verlässliche und vergleichbare Informationen zur nachhaltigen Leistung von Produkten können eine vollkommen neue Dynamik in der Nachfrage erzeugen, ähnlich wie wir es bereits durch die Energieeffizienzkennzeichnung von Glühbirnen und elektrischen Großgeräten gelungen ist. Gleichzeitig bekommen auch Industrie und Handel klare Informationen an die Hand, um ihre Produkte und Sortimente stärker auf Nachhaltigkeit auszurichten. Bereits heute finden sich die gängigen ökologischen und sozialen Zertifikate als Produktattribute in den Stammdaten wieder und können digital zwischen Industrie und Handel ausgetauscht werden. Hier geht es um beides: Klarheit in der Kommunikation entlang der Kette und gleichzeitig deutlich Steigerung der Effizienz.

So bieten etliche Apps für Smartphones ein Scanprogramm für Produkte, etwa zur individuellen Prüfung der Inhaltsstoffe von bestimmten Lebensmitteln im Supermarkt an: Haben diese Technologien aus der sogenannten „Mobile Commerce“ Sparte Zukunft?

Allein die Verbreitung von Smartphones sorgt dafür, dass die Interaktion zwischen Hersteller und Konsument auf der einen und Handel und Konsument auf der anderen Seite an Relevanz gewinnt. Insbesondere in den Prozessen der Kaufentscheidung zwischen Händlern und Kunden, aber auch im Rahmen von Kaufanbahnung oder Kundenbindung zwischen Herstellern und Kunden spielt mobile Technologie eine immer größere Rolle. Unternehmen investieren schon heute, um der „Always on“-Mentalität der modernen Shopper gerecht zu werden.

Sie meinen damit, dass man es durch das Internet mittlerweile gewöhnt ist, rund um die Uhr einkaufen zu können?

Jeder kennt Strichcodes - die "entstörten" dagegen sind selten.
Jeder kennt Strichcodes. Manch einer schwört auf die „entstörte“ Variante.

Das ist ein Punkt. Verfügbarkeit rund um die Uhr an jedem Tag der Woche, verändertes Zahlungsverhalten, personalisierte Produkte, Produktinformationen, die den eigenen Bedürfnissen gerecht werden, sind nur einige Veränderungen, die mobile Technologie bereits bewirkt hat. Das große Potenzial, das der „Mobile Commerce“ im Hinblick auf das Informieren, Einkaufen, Bezahlen und Rabattsammeln bietet, kann nur voll ausgeschöpft werden, wenn alle Beteiligten der Wertschöpfungskette auf der Basis einheitlicher, weltweit gültiger Standards kooperieren. Das kann durch lückenlose Rückverfolgbarkeit nach dem Prinzip „from farm to fork“ geschehen oder durch zusätzliche Angaben zu Produkten beim Online- und Offline-Kauf.

Die klassische Produktverpackung stößt da dann aber an ihre Grenzen…

Das stimmt. „Extended Packaging“, die digital erweiterte Verpackung, gewinnt deshalb mehr und mehr an Bedeutung. Per Scan des Produktbarcodes mit dem Smartphone und einer Scan-App, wie zum Beispiel barcoo, können Verbraucher sich zusätzliche Informationen zum Produkt online ansehen. Ob Produktbilder, Videos oder Rezeptvorschläge – der Barcode ist der Schlüssel zu weiterführenden Produktinformationen.

Neue Techniken und Angebote, wie der Handel von Lebensmitteln im Internet, die Zahlung per Kreditkarte oder auch die Verfolgung von Produkten anhand eines sogenannten RFID-Transponders (Radio Frequency Identification) – ein System, das über einen nachverfolgbaren Chip die Informationspalette der alten Barcodescanner um ein genaues Bewegungsprofil erweitern könnte –, machen die Dringlichkeit einer Diskussion um Datenschutz deutlich. Werden datenschutzrechtliche Bedenken in Ihrem Unternehmen reflektiert?

Przybilla: GS1 Germany beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema. So wurden bereits 2005 die Grundsätze und Richtlinien zum Datenschutz für den Einsatz der RFID-Technologie veröffentlicht. Diese besagen, dass in jedem Fall nationales sowie internationales Datenschutzrecht zu wahren ist. Außerdem muss der Verbraucher verständlich informiert werden. Und ihm muss die Wahlmöglichkeit gelassen werden, selbst zu entscheiden, ob er die sogenannten RFID-Tags in Betrieb lassen oder entfernen möchte. Unser Unternehmen hat sich gemeinsam mit unserer Zentrale in Brüssel aktiv daran beteiligt, die EU-Empfehlung zum Thema Datenschutz bei RFID-Anwendungen sowie den zugehörigen Regelungsrahmen zu erarbeiten und zu kommentieren. Kooperationen mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sowie dem Europäischen Komitee für Normung (CEN) runden unser Engagement beim Thema Datenschutz und Wahrung der Privatsphäre ab. Das Zusammenführen und Synchronisieren von Produktdaten dient Unternehmen dazu, den Abverkauf ihrer Sortimente zu analysieren und ihr Produktportfolio optimieren zu können. Datenträger wie Barcodes oder RFID-Tags vereinfachen an dieser Stelle das Sammeln der Informationen. Der Verbraucher kann mit sogenannten Loyalty-Karten von Vorteilen wie Preisnachlässen oder Sonderangeboten profitieren. Die anbietenden Unternehmen können so ihre Angebote auf den Kunden exakt abstimmen. Das erfordert jedoch die ausdrückliche Zustimmung des Verbrauchers und darf nicht ohne seine Kenntnis erfolgen. So wäre es nicht zulässig, solche Verknüpfungen ohne das Einverständnis des Verbrauchers über den Bezahlprozess herzustellen, indem man beispielsweise den Einkauf des Kunden mit den personenbezogenen Daten seiner Kreditkarte verknüpft.

Herr Przybilla, vielen Dank für das Gespräch.

 

Fast jedes Produkt verfügt heute über einen Strichcode (auch Barcode), der beispielsweise an der Supermarktkasse gescannt wird. In diesen Codes ist eine mehrstellige Ziffernfolge verborgen, die vielfältige Informationen über Hersteller, Produkt und Warenschöpfungskette beinhalten kann. Diese European Article Number/Global Trade Item Number (EAN/GTIN) wird in Deutschland und in 107 weiteren Ländern von dem Unternehmen Global Standards One (GS1) vegeben und verwaltet.

Solche Kennzeichnungen sind aber nur ein Teil des Aufgabenfeldes von GS1: Die Durchsetzung von weltweit gültigen und einheitlichen Standards umfasst beispielsweise auch den Kampf gegen Produktpiraterie sowie die datengestützte Steuerung und Optimierung von Marktprozessen. Damit ermöglicht das Unternehmen eine wichtige Infrastruktur für unsere globalisierte Wirtschaft.

In Zukunft könnten Produkte anhand eingebauter RFID-Chips (Radio Frequency Identification) über Radiosignale gezielter zugeordnet werden. Der Spielraum für mögliche Anwendunsgbereiche dieser Technologie ist groß: Von der bargeldlosen Bezahlung am Supermarkt, in welchen der Kunde nur noch durch eine Kontrollschranke ein und aus zu gehen hätte, bis hin zur Kombination von Bewegungsprofilen der einzelnen Produkte und ihrer jeweiligen Käufers innerhalb und außerhalb des Supermarktes ist vieles denkbar. Letzteres führt dazu, dass RFID-Technologie unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten kritisch diskutiert wird.

http://www.gs1-germany.de/

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