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Der rhetorische Störenfried

Eine deutsche Universität ist natürlich etwas wunderbares: Auch wenn sie wohl kaum mehr dazu dient Wissen zu vermitteln, ja ihren Studierenden gar das eigenständige Denken zu lehren, so bietet sie doch zahlreiche Anlässe um über das zu schreiben, was sich tagtäglich in dieser völlig zu Unrecht subventionierten Institution abspielt. Und, interessanter, wie dieser Betrieb frohen Mutes gestört werden kann.

Jeder kennt das: Ein Seminar zu später Stunde, ein ödes Konsensthema und zudem ein Dozent, der so verzweifelt versucht eine stockende Diskussion am Laufen zu halten, dass bei den ersten bereits Mitleid aufkommt. Ein Drittel guckt aus dem Fenster oder spielt am Smartphone, das zweite Drittel hat den Raum längst verlassen. Diese Leute sind mir persönlich am sympathischsten, weil sie ihr Desinteresse ohne falsche Scheu ganz offen zeigen. Zweifelsohne sollte es mehr Menschen von dieser Sorte geben, unsere Welt wäre vermutlich ein ganzes Stück besser.

Nun gibt es leider Gottes das an jeder Universität stets präsente, prinzipiell aber völlig überflüssige dritte Drittel. Sie folgen dem Seminargeschehen oder „denken mit“, wie sie die Aktivität ihres Hirns samt veräußerlichter Gedankenwurst selbst gerne nennen. Unter ihnen grassiert eine Krankheit widerwärtigster Natur: Es ist der Konsens. Solche Studierende kennt man noch aus der Schule, wo sie schon damals immer das sagten, was der als unumstößlich anerkannte Lehrkörper gerne hören wollte. Sie haben natürlich fleißig ihre Hausaufgaben gemacht und kennen all die kanonischen Weisheiten, jedoch haben sie die Lehren der Großen zum traurigen Dogma verkommen lassen. In monomanischer Manier wiederholen sie längst bekannte und wenig brisante Meinungen, die keines der müden Gemüter in Wallungen versetzt. Nur äußerst selten und ungern lassen sie dabei die eigenen Synapsen blitzen, dafür lieben sie das wiederkäuen der Sätze anderer. Rhetorische Viehzucht ist das. So betonen sie etwa die Bedeutung Schillers für die deutsche Literatur oder verweisen auf die Menschenrechte als Grundlage des politischen Handelns – gähn.

Solche „Wahrheiten“ sind selbst natürlich so herrlich festgefahren, dass sie zu einem heiteren Gegenwind geradezu einladen, auf dass ihre unumstößlich scheinenden Theoriegebäude gefährlich ins Wanken geraten. Nicht etwa die eigene Meinung, sondern die pure Lust am Spiel ist es nun, die den rhetorischen Störenfried dazu antreibt, mit einer zum Himmel schreienden Unerhörtheit zwischen das sich gegenseitig zuprostende Einheits-Blabla zu donnern. Das Schöne an der Wissenschaft ist, dass sich eigentlich immer eine einigermaßen fundierte Gegenmeinung finden lässt.

Die Skeptiker im antiken Griechenland waren Meister darin, durch zweifelndes Nachfragen die Positionen ihrer geistigen Gegenspieler (was so ziemlich jeder war) auf wackeligen Boden zu stellen. Alles anzuzweifeln bedeutet jedoch auch, dass man sich der eigenen Wahrnehmung nicht sicher sein kann. Dies soll den Philosophen Pyrrhon, ein berühmter Vertreter dieser Schule, einmal dazu veranlasst haben, während eines Seminars plötzlich seine Kleider auszuziehen und in einen imaginären Fluss zu springen, um dann mit langen Zügen davon zu schwimmen.

Auch wenn man es nicht ganz so weit treiben muss, so könnte man doch bei passender Gelegenheit beispielsweise die Behauptung in den Raum stellen, dass die Menschenrechte eurozentrisch und deshalb ziemlich wenig wert seien. Was dann los wäre! Vermutlich würde unter den meisten „Mitdenkenden“, die sich selbst (hoffentlich) als gute Demokraten und tolerante Bürger begreifen, ein Sturm der Entrüstung losbrechen. Einer, der sie zwingt, ihre Positionen gegen das heranrollende Böse kraft des eigenen Denkens zu verteidigen. Hierzu bedarf es für den Störenfried natürlich einigen Mutes, denn schnell hat er das gesamte Seminar gegen sich – das berühmte „Leben in der Bude“ wäre aber gewiss. Und falls er am Ende völlig auf verlorenem Posten steht, kann er sich immer noch dem zweiten Drittel anschließen und einfach gehen. Cooler sind die sowieso.

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