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Der Dirty Old Man und die Liebe

Nach monatelanger Probearbeit feierte vergangenen Donnerstag die Inszenierung Try – Bukowski – Versucht am Rationaltheater Premiere. Das Stück porträtiert nicht nur einen sensiblen Säufer, der längst zu den Großen der Weltliteratur gehört, es erzählt auch eine Geschichte von Heimatlosigkeit und den Schwierigkeiten des Liebens.

Danijel Szeredy in Try-Bukowski-Versucht

Ungeschönt und ohne Umwege hat Charles Bukowski eigenes Staunen, Verdruss, Liebe und Liebschaften, die Highs und ganz tiefen Tiefen des Alkoholismus Literatur werden lassen. Seine Ochsentour (Shakespear Never Did This) zeugt ebenso wie sein literarisches Werk davon. Die Ochsentour ist Bericht einer Reise nach Europa, die Bukowski 1978 in sein Geburtsland Deutschland führte, wo er in der Hamburger Markthalle eine bis heute legendäre Lesung gab. Reise und Lesung spannen den dramaturgischen Rahmen des Stücks Try – Bukowski – Versucht von Regisseur Danijel Szeredy auf und so eröffnet aus den Lautsprechern des Rationaltheaters der Applaus, mit dem ihn damals sein Publikum empfing, auch in München die knapp zweistündige Inszenierung.

Liebevolle Komposition

Bukowski ist kein Autor, der sich oder seine Leser schont. Geschont hat sich auch die mehrköpfige Truppe um Szeredy nicht, wie Daphne Weber in den Wochen vor der Premiere auf Mucbook dokumentierte. Nicht nur in Münchens Kneipen betrieb man eifrig Feldforschung. Im Kollektiv wurde ein Theatertext aus verschiedenen Werken des Autors erarbeitet und einer Aufführung zugrunde gelegt, die als transmediale Montage Prosa, Lyrik, Fernsehinterviews, Rundfunkaufnahmen, Gesangseinlagen oder den Einsatz von Live-Kameras zusammenbringt. Dramaturgin Ayna Steigerwald  ist es gelungen, aus vielen einzelnen Bausteinen ein bruchloses Ganzes zu schaffen. Kalas Liebfried hat eigens Musik für die Inszenierung komponiert, die meist traurigen, bitteren Seiten im Leben Bukowskis Ausdruck verleiht. Mit der Vertonung des Gedichts Dinosauria, We, gesungen von Darstellerin Naima Laube, wurde aber auch eine kraftvolle, kämpferische Ballade geschaffen.

Bühnenbild und Kostüm (Laura Spes und Olga Zipplies) sind teilweise der Hamburger Lesung nachempfunden, dominiert vor allem vom zentral platzierten weißen Kühlschrank, der damals für den Nachschub an Weißwein sorgen sollte. Zumeist sind es William Newton und Lev Semonov, die Bukowski oder sein Alter Ego Hank verkörpern. Danijel Szeredy sitz in der Pose des in Hamburg lesenden Bukowski unterhalb der Bühne, schwarzes Hemd, Weißwein und Zigaretten fehlen nicht. Außerhalb der Bühne kommentiert er das Geschehen auf ihr: der Autor, der das eigene Leben bespricht. Isabel Will und Naima Laube spielen manchmal auch den Literaten, stellen meist aber die Frauen in seinem Leben dar, verschiedene Liebschaften und die eine große Liebe: Linda Lee.

Was die Frauen nur an einem alten, hässlichen Mann wie ihm fänden, fragt sich der Autor am Anfang des Stücks. Man kann sich auch fragen, was diese Truppe junger, unverbrauchter Menschen an der Figur des alten, verbrauchten Literaten findet. Im Programmheft lautet die Antwort, dass sie sich mit dem Grundgefühl der Heimatlosigkeit identifizierten, das besonders in der Ochsentour zum Ausdruck komme. Tatsächlich aber ist Try – Bukowski – Versucht vielmehr eine Geschichte des Liebens, das wie ein Magnet Menschen immer wieder anzieht und abstößt. Liebe ist, „als würde man mit einer vollen Mülltonne auf dem Rücken durch einen reißenden Strom von Pisse waten“, heißt es aus dem Mund des Autors. Und es lassen sich aus solchen Sätzen und ähnlichen die Verletzungen ablesen, die sich andere durch Bukowski zuzogen. Das Stück zeigt aber auch, wie diese Verletzungen Läuterungen sein können. Denn sie offenbaren „was Wahrheit und was Liebe ist – durch den Spiegel des Partners“, wie Isabel Will als Linda Lee es gegen Ende des Stücks sagt.Try - Bukowski - Versucht_02_Newton_Semenov_Szeredy_Will_Laube_Foto Spes

Ein Schreibender, ein Kämpfer on the Road

Try – Bukowski – Versucht ist darüber hinaus ein auf die Bühne gebrachtes Roadmovie. Aus Kalifornien reist das Publikum mit Bukowski und Linda Lee nach Paris, in eine Stadt, die als Collage poetischer Erinnerungsfetzen inszeniert wird. Abwechselnd treten die Schauspieler vor ein Mikrofon, reihen Eindrücke aneinander, während Zeitrafferfahrten durch die französische Hauptstadt, Schwarzweißaufnahmen auf sie und die Bühne hinter ihnen projiziert werden und der rastlose Rhythmus der Musik jedes Verweilen unmöglich macht. Weiter geht es nach Andernach, Bukowskis Geburtsort, und zu Onkel Heinrich, der noch bestehenden Brücke zu seiner frühen Kindheit. In Hamburg schließlich die Lesung, eingespielt als Originalaufnahme.

Gezeigt wurde an diesem Abend auch der Kampf eines Schreibenden um das geschriebene Wort: Alles will durchlebt und durchlitten sein. Immer wieder sieht man einen Bukowski im Zweifel an den eigenen literarischen Fähigkeiten. Ihre große Bewunderung für das schriftstellerische Raubein haben Szeredy und seine Mitstreiter damit spürbar gemacht. Dabei hätte das Publikum ruhig schonungsloser behandelt werden können, wie in dem Moment, als Lev Semenov in langen Zügen eine Weißweinflasche leert, sich die Hälfte davon übers Hemd schüttet und zwischen die Sitzreihen torkelt, um einzelne Zuschauer ins Spiel miteinzubeziehen. Letztlich ist der Inszenierung ein facettenrteiches Porträt gelungen, das über die Person Bukowski hinaus erzählerische Wirkung entfaltet.

 

Nächste Aufführungstermine:

15. Oktober

16. Oktober

29. Oktober

30. Oktober

12. November

13. November

14. November

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