Filmreihe

„ANTIFA“ – Selbstreflexion und Demospektakel

Die Dokumentation „Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“ des Medienkollektivs Leftvision beleuchtet das Wirken antifaschistischer Gruppen während der 1990er Jahre in der BRD. Fünf Akteur*innen von damals berichten eindrucksvoll über ihr Engagement gegen rechts und kommen zu dem Schluss: Sie würden es heute genauso wieder machen.

Von Luka Kraft; Bild: © Christian Ditsch

Die rassistischen Übergriffe in Hoyerswerda 1991, das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen 1992 oder die Mordanschläge von Mölln und Solingen in den Jahren 1992 und 1993 – in den Jahren nach der Wiedervereinigung überrollte Deutschland eine Welle an rechter Gewalt.

Antifaschistische Selbstorganisation

Zu dieser Zeit begann sich aber auch antifaschistischer Widerstand zu organisieren. Antifa-Ortsgruppen stellten sich dem rechten Mob auf der Straße entgegen, organisierten Proteste, leisteten Bildungsarbeit und recherchierten zu rechtsextremen Strukturen.

Der Film erzählt von diesem unermüdlichen Engagement. Dabei wechselt er immer wieder die Perspektive: von Archivaufnahmen der Bewegung zu Interviews mit ehemaligen Antifa-Akteur*innen, die ihren Aktivismus in den neunziger Jahren reflektieren.

Gleich zu Beginn werden die Zuschauer*innen mit schnell geschnittenen Videoaufnahmen konfrontiert. Es sind Szenen rechtsextremer Gewalt, unter anderem die Angriffe gegen das sogenannte Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, in dem vietnamesische Vertragsarbeiter*innen untergebracht waren. Das Pogrom war der massivste fremdenfeindliche Übergriff in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Bilder wie diese prägen die gesamte Dokumentation: Straßenschlachten mit der Polizei, brennende Molotow-Cocktails, Pyrotechnik, rennende Neonazis in Springerstiefeln und Bomberjacke. Hinterlegt mit linkem Rap von Waving the Guns oder Klassikern wie „Schrei nach Liebe“ von den Ärzten entstehen so Szenen, die den Zuschauer in ihren Bann ziehen.

Demotaktik Schwarzer Block: Einheitliche dunkle Kleidung soll Aktivist*innen vor Repressionen schützen. Bild: © leftvision e.v.

Die fünf Interviewten kommen aus allen Ecken des Bundesgebiets. Eine von ihnen ist Kessi aus Berlin-Kreuzberg. Sie arbeitet beim Antifa-Presse Archiv, einer 1991 gegründeten Initiative gegen Rechtsextremismus. Im Interview erklären Kessi und ihre Mitstreiter*innen, dass ein Großteil ihres Engagements aus Recherche und Informationsbeschaffung bestand. Eindrucksvoll erzählen sie davon, wie ihre Gruppierungen Häuser und Treffpunkte von Nazis ausspionierten, wie sie persönliche Daten von diesen sammelten und tote Briefkästen zur Kommunikation nutzten.

Dafür bedienten sie sich teils ungewöhnlicher Methoden. Besonders kurios war das Vorgehen am 20. Mai 1989 in der Wohnung von Neonaziführer Christian Worch. Er wurde von einem „Mobilen Antifa Kommando“ besucht, das sich als Polizeieinheit verkleidet hatte und etwa 50 Aktenordner mit Dokumenten über rechtsextreme Organisationen aus seiner Wohnung entwendete.

Leider geht die Dokumentation nur sehr kurz auf solche konkreten Ereignisse ein. Als Zuschauer wünscht man sich, dass einige dieser Aktionen detaillierter und ausführlicher besprochen werden.

Die Gewaltfrage

Weiterhin reflektieren die Interviewten die immer wiederkehrende Frage der Gewalt. Als Selbstschutz und zur Verteidigung von Geflüchteten gegen Nazis ist Gewalt für sie absolut legitim. Bei den rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen eilten Autonome zur Stelle, um die Vietnames*innen, die unter dem Beifall von rund 3000 Zuschauer*innen in dem in Brand gesetzten „Sonnenblumenhaus“ eingeschlossen waren, zu schützen.

Als alleiniges Mittel sei Gewalt hingegen niemals sinnvoll, denn militante Aktionsformen sollten nur die letzte Option sein. Die Hauptarbeit von Antifa-Gruppen besteht in der Aufklärung und der Recherche. Doch auch von Situationen, in denen die Gewalt überhandnahm und Mitstreiter*innen unverhältnismäßig brutal vorgegangen sind, berichten die Aktivist*innen.

Keine Selbstbeweihräucherung

Die Dokumentation ist ein radikal subjektiver Blick auf die antifaschistische Arbeit der neunziger Jahre, gleitet aber an keiner Stelle in romantische Verklärungen ab. Auch ohne einordnende Instanz erscheint der Rückblick der Akteur*innen stets differenziert. Beispielsweise blicken die Protagonist*nnen durchaus kritisch auf das Mackertum, das teilweise in den Gruppen herrschte. Für sie ist klar: vor allem die Männer pochten auf gewalttätige Aktionsformen und Themen wie Frauen- oder Queerfeindlichkeit wurden einfach ignoriert.

Am Ende wird diskutiert, wie erfolgreich das Engagement von Antifa-Gruppen in den neunziger Jahren war. In Hinblick auf die Erfolge der AfD in den letzten Jahren fällt das Urteil ernüchternd aus: „Wenn ich ehrlich bin, war unser Erfolg doch relativ dünn“. Auch die heutigen Antifa-Strukturen beschreiben sie als „klein und unsichtbar“. Dennoch bereut keine*r der Aktivist*innen ihr Engagement.

Antifa-Ausstattung der 90er Jahre: Helm, Knüppel und Bomberjacke mit „Gegen Nazis“-Patch. Bild: © Christian Ditsch

Rechtsruck in den 1990ern

Wenig Aufmerksamkeit schenkt der Film den politischen Umständen der 1990er Jahre. Es wird zwar betont, dass die Arbeit von Antifa-Gruppierungen notwendig war, da die Polizei auf dem rechten Auge blind war und vor allem gegen linke Gruppierungen repressiv auftrat, aber der massive Rechtsruck zu dieser Zeit wird nicht thematisiert. Das hat vermutlich mit der Zielgruppe des Films zu tun. Die meisten Zuschauer*innen dürften selbst eine mit den Protagonist*innen sympathisierende Einstellung haben.

Hätte man die politische Lage in Deutschland zu Beginn des Films eingefangen, wäre die teils radikale Vorgehensweise nachvollziehbarer für all jene, die mit Antifa nur schwarz gekleidete Demoblöcke und brennende Polizeiautos verbinden. Die szeneninterne Selbstreflexion gibt vielleicht aktuellen Antifas Mut und Inspiration, weite Teile der Bevölkerung kann man damit eher nicht erreichen.

„Antifa – Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“ kam am 02. September 2024 in die deutschen Kinos. Verleih: leftvision e.V.

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