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Süchtig nach Glück

Von Uwe Steinbrich / Pixelio.de
Von Uwe Steinbrich / Pixelio.de

Zwischen Melonen, Pflaumen und Bankrott

München. Erdal fixiert den Bildschirm. Bunte Früchte und lachende Sonnen strahlen ihm entgegen. „Magie 2011 Deluxe“ heißt der Automat vor dem er sitzt. Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand tippen alle paar Sekunden auf einen blinkenden Knopf. Die Melonen, Pflaumen, Zitronen und Orangen rasen nach oben. Erdal lächelt. „Fruitinator“ heißt das Spiel mit dem netten Obst. Gerade eben hat er mit einmal Drücken 20 Euro verloren. Kurz verzieht sich das Lächeln; sein Blick löst sich für einen Moment von dem funkelnden Bildschirm und wandert an die Decke. Er lehnt sich zurück in den schwarzen Ledersessel. Seine rechte Hand lässt vom Knopf ab, verwuschelt die kurzen schwarzen Haare, dann setzt er sich wieder aufrecht hin. Das Lächeln kehrt zurück; genauso wie die Finger auf die blinkenden Tasten.

Einmal die Woche gehe er ins Automatencasino, manchmal auch zweimal, sagt Erdal. Heute hat er 50 Euro eingeworfen; wenn er 100 hat, will er gehen. Es sei schon vorgekommen, dass er 200, 300 und sogar 500 Euro gewonnen habe, aber heute reiche ihm weniger. Länger als eine Stunde will er nicht bleiben.

Erdal ist nicht der einzige Gast im „Vegas World“-Casino. Noch ein halbes Dutzend anderer Männer starren auf die funkelnden Bildschirme vor ihnen. Manche sitzen wie Zombies vor den flimmernden Fronten; bekommen nichts von ihrer Umgebung mit. Ihre einzige Regung ist das monotone Tippen ihrer Finger auf den Knopf. Andere überwachen drei Automaten gleichzeitig. Sie tigern umher, tragen noch ihre Jacken und Schals. Die meisten hier sind wie Erdal Ende zwanzig, Anfang dreißig, haben schwarze Haare und tragen Pulli und Jeans. Keiner unterhält sich.

„,Fruitinator‘ ist das beste Spiel“, sagt Erdal. Als erstes legt er seinen Einsatz fest; je höher der Einsatz, umso höher auch der mögliche Gewinn. Erdal fängt mit zwei Euro an, denn da bekomme man schon bei zwei Kirschen nebeneinander vier Euro. „Kirschen bringen nicht so viel; die Siebener sind die Joker“, erklärt er. Gerade hatte Erdal vier Siebener in einer Reihe, aber es gab kein Geld, denn auf dem ersten Platz in der Reihe war eine Pflaume. Wäre sie nicht da gewesen, hätte Erdal 200 Euro gewonnen. Das sei gut, sagt Erdal, er wäre ganz nah dran gewesen. Vielleicht werde es heute ja doch noch etwas, mit einem größeren Gewinn heute.

Die Geräte sind so programmiert, dass Beinahe-Gewinne überdurchschnittlich oft auftreten. Das Spiel ist schnell. Bei seinem Einsatz ist Erdal in einer Minute acht Euro los.

Manchmal gewinne man gar nichts, sagt Erdal. Kollegen hätten hier schon an einem Abend ihren ganzen Lohn verspielt. Er setze sich immer ein Limit. Meistens halte er sich daran, aber ab und zu auch nicht.

Von Uwe Steinbrich / Pixelio.de
Von Uwe Steinbrich / Pixelio.de

Im Bahnhofsviertel gibt es etwa 50 Spielhallen wie  „Vegas World“. Circa Dreiviertel der Besucher sind regelmäßige Spieler, die bis zu zehn Stunden vor den Automaten verbringen. Ruhetage gibt es keine. Ein einzelnes Casino kann von vier bis sechs regelmäßigen Spielern leben. Obwohl es eine gesetzlich festgelegte Ausschüttungsrate gibt, machen die Casinos pro Nacht Gewinne von mehreren tausend Euro. Fast jeden Monat gibt es im Münchner Bahnhofsviertel eine Neuanmeldung eines Casinos.

Erdals Konto ist in den letzten zehn Minuten von 90 auf 50 Euro gefallen. Das ist immer so, sagt Erdal: Es geht hoch und wieder runter und wieder hoch und wieder runter. 48 Euro, 46 Euro, 44 Euro − klick, klick, klick. Ein kurzer prüfender Blick auf die Kombination, dann drückt Erdal weiter. Wieder drehen sich die Früchte.

„Die ersten Erfahrungen mit dem Spielen finden bei den meisten Betroffenen zufällig statt. In der Freizeit geht man einfach einmal aus Spaß in eine Spielhalle“, sagt die Sozialpädagogin und Suchttherapeutin Christa Balint. Sie leitet eine Selbsthilfegruppe für Glücksspielsüchtige an der Beratungsstelle Blaues Kreuz München-Ost. Kleine Gewinne führen zu Glücksgefühlen und persönlichen Erfolgserlebnissen. Irgendwann setzen die Spieler mehr Geld. Sie gewöhnen sich an das stundenlange Zocken. Trotzdem glauben sie, noch die Kontrolle zu haben und jederzeit aufhören zu können.

Auch Erdal sagt er könne aufhören, wann er wolle. Wenn er 100 Euro hat, gehe er. Jetzt hat er Glück: drei Pflaumen nebeneinander und zwei Pflaumen diagonal – eine Kombination taucht selten allein auf. Erdal hat vier Euro gewonnen. Jetzt drückt er auf den Leiterknopf. „Da kannst du ganz schnell alles wieder reinholen“, sagt er. „Risiko“ heißt diese Variante: der Cursor springt im Halbe-Sekundentakt zwischen acht Euro und null Euro. Trifft er acht Euro, hat Erdal seinen Gewinn verdoppelt, trifft er null Euro, ist er verloren. Klick − acht Euro, klick, − 12 Euro, klick − 20 Euro. Erdal bestätigt die 20 Euro; die gelben Zahlen in seinem Guthabenfeld erhöhen sich. Eine lachende Sonne blinkt auf und der Automat lässt einen harmonischen Dreiklang ertönen.

Eine Stunde wollte Erdal bleiben, die ist schon seit einer Weile vorbei. Gedimmtes Licht beleuchtet die pastellorange gestrichenen Wände, von irgendwoher kommt leise rhythmische Musik. Am Ende des länglichen Raumes hängt ein Plasmafernseher, auf dem lautlos ein Hockeyspiel läuft. Keiner schaut hin.

„Für viele wird das Casino zum Rückzugsort vor Problemen“, sagt Christa Balint. Das leidenschaftliche Spielen führt zu immer größeren Verlusten. Viele sind überzeugt, diese durch neue Gewinne beim Spielen wieder rückgängig machen zu können. Die Sucht entwickelt ein Eigenleben, der Spieler hat keine Kontrolle mehr. Der zwanghafte Drang führt in extremen Fällen zum finanziellen Totalverlust.

Erdal ist bei 106 Euro angelangt. Sein Ziel hat er damit erreicht. Lächelnd fixiert er den Bildschirm. Er spielt weiter. Die lachende Sonne funkelt ihm motivierend entgegen. 40 Euro sichert er auf den Geldspeicher, doch als sein Konto schrumpft, lässt er sie wieder ins Spiel einfließen. „Mit mehr Einsatz kannst du einfach viel mehr gewinnen“, sagt er. Die Finger klopfen auf den Knopf, die Früchte drehen sich weiter.

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