Von Tabitha Nagy
Im großen mittleren Saal des Haus der Kunst begegnet einem gleich das dunkle, bronzene Pferdeskelett. Es hält seinen skelettierten Huf in die Höhe, an dem Knochen ist eine LED-Band Schleife angebracht. Blaue Zahlen und die Namen von Unternehmen laufen die Schwingungen entlang. Es sind Aktienkurse, das wird schnell klar. Das überlebensgroße Skelett erinnert, so wie es auf seinem hohen Sockel steht, an ein Dinosaurierskelett im Naturkundemuseum. Es könnte sich auch um die sterblichen Überreste eines der zahlreichen Reiterdenkmäler, wie sie sowohl in München als auch in der restlichen Welt zu finden sind, handeln. Solche Denkmäler wurden angelegt, den Herrschern, die auf diesen ehernen Rössern reiten, ein ewiges Andenken zu setzen. Doch von Menschen ist hier nichts zu sehen.
Während man die Plastik betrachtet, bleibt der Blick immer wieder an den durchlaufenden, leuchtenden Schriftzügen der Schleife und dem angehobenen Huf hängen. Der angehobene Pferdehuf könnte auf berühmte Reiterdenkmäler verweisen, wie etwa Donatellos Gattamelata oder Verrocchios Bartolomeo Colleoni. Steht das finstere Tier also für die Vergänglichkeit des Menschen und das Verblassen seiner Person trotz aller Bemühungen zur Repräsentation? Oder für den Niedergang einer Herrschaft, vielleicht auch finanzieller Natur? Wie greifen die Aktienkurse hier ein? Ist das Pferd in seinem kühlen, rationalisierten, nicht personalisierten – ja geradezu entpersonalisierten – Wesen Repräsentant der „neuen Herrscher“ – der großen Firmen und ihres Kapitals?
Zwischen den Großstädten des Kapitals
Um nicht weiter zu grübeln, wird ein Blick auf den Text an der Wand geworfen. In schwarzen Lettern ist dort der Titel zu lesen: Gift Horse. Der Künstler heißt Hans Haake. Das Werk entstand im Rahmen eines Wettbewerbs, der auf die Gestaltung eines Sockels auf dem Trafalgar Square in London ausgerichtet war. Hier stand es als zehnter Beitrag auf dem Skulpturensockel Fourth Plinth. Dennoch passt das große Tier gut in den hohen Saal im Haus der Kunst. Der Sockel des Trafalgar Square blieb einst leer, da man sich das geplante bronzene Reiterdenkmal nicht mehr leisten konnte. Ein Aha-Moment stellt sich ein, der Grund für die Verbindung mit dem Reiterdenkmal scheint geklärt. Als eine kunsthistorische Vorlage diente eine Radierung George Stubbs, einem englischen Maler des 18. Jahrhunderts. Die Aktienkurse liefert – angepasst an die Aufstellung der Plastik im Haus der Kunst – in Echtzeit die Frankfurter Börse. Enthüllt in Zeiten des Sparens und der Finanzkrise, wird die Installation von Hans Haake zum Mahnmal und weist mit erhobenem Huf auf die fragilen politischen und sozialen Geschehnisse unserer Gegenwart.
Hans Haake: Gift Horse
27.04. – 20.08.17
Haus der Kunst
Prinzregentenstraße 1
80538 München
Tagesticket 14 €, ermäßigt 12 €