Sou Abadis „Voll verschleiert“ wagt sich an brisante Themen. Der Film setzt sich kritisch mit Vorurteilen, Geschlechterrollen und Radikalisierung auseinander, bleibt dabei aber humorvoll. Funktioniert die Komödie als Gesellschaftskritik?
Von Ilya Portnoy
Es geht um Liebe, um Religion, Geschlechterrollen, auch um das Leben am sozialen Brennpunkt – alles sehr ernste und wichtige Themen. Und in der Tat scheint der neue französische Komödienfilm „Voll verschleiert“ gar nicht wie eine Komödie zu beginnen.
Armand (Félix Moati) und Leila (Camélia Jordana) sind zwei junge Menschen, frisch verliebt. Sie sind politisch interessiert, helfen in ihrer Freizeit Flüchtlingen und haben große Pläne: Beide wollen ein Praktikum bei den Vereinten Nationen absolvieren. Als die erwartete Zusage kommt, herrscht große Begeisterung und Vorfreude.
Doch genau jetzt kommt Mahmoud (William Lebghil), Leilas Bruder, aus dem Jemen zurück und funkt dazwischen. Er hat sich während seines zehnmonatigen Aufenthalts stark verändert: Ein Wandteppich mit dem Bild des Gründers einer radikalen Gruppierung wird aufgehängt, Familienfotos zerrissen, der französische Pass verbrannt – Leila, darf sich nicht mehr mit Männern verabreden. Mahmoud sieht sich, da die Eltern bereits gestorben sind, nun als Familienoberhaupt an. Seinen Entscheidungen gilt es zu gehorchen. Für den jüngeren Bruder ist indessen eine religiöse „Umerziehung“ vorgesehen.
An dieser Stelle ist der ernsthafteste Teil des Films aber auch schon passé
Da sich Armand weiterhin mit Leila treffen will – einer starken Frau, die sich die Unterdrückung durch Mahmoud nicht gefallen lassen möchte – wirft er sich kurzerhand einen Niqab über und versteckt sich so „voll verschleiert“ vor Leilas Bruder. Die Stimme verstellt Armand gekonnt und schon wird aus ihm die gläubige und stets „gütige“ Scheherazade.
Bald wird Armand jedoch klar, dass das Versteckspiel sich nicht so einfach gestaltet, wie erwartet. Um Mahmoud wirklich zu überzeugen, studiert er also heimlich den Koran und die Poesie des Islam.
Wie er es mit dieser aus der Not geborenen Methode schafft, als „Scheherazade“ nicht aufzufliegen, ist natürlich schon ein Rätsel. Es kommt aber noch schlimmer: Mahmoud ist von der erfundenen Frau hinter dem Schleier hin und weg und setzt alles daran, sie zu seiner zukünftigen Gattin zu machen. Bei der Umsetzung seiner Pläne helfen seine konvertierten „Brüder“ aus der Nachbarschaft – indessen nicht gerade die hellsten Zeitgenossen. Eine Qualifizierung als harmlose, doch blind gehorchende Idioten trifft es eher.
So langsam nimmt das mit Klischees spielende, aber von diesen nicht total überfrachtete Filmereignis Fahrt auf: Eine zunehmend größere Rolle kommt Armands Eltern zuteil – einer aktiven Feministin und einem alten Verehrer der kommunistischen Linie. Ehemals aus dem Iran geflüchtet und mit eigenen Vorstellungen zur Verschleierung komplettieren sie das multikulturelle Spektakel. Natürlich nicht ohne eine Portion Humor.
„Wenn du sterben willst, geh‘ nach Syrien“ wird Scheherazade alias Armand zugerufen, als er auf den Straßen von Paris einmal aus Unachtsamkeit vor ein Auto läuft – nur selten ist der Film der gebürtigen Iranerin Sou Abadi so bissig. Schwarzer Humor ist nicht gerade die Hauptwaffe von „Voll verschleiert“. Insgesamt bleibt die Komödie recht zahm; die Gags können hier und da laute Lacher provozieren, sind aber oft vorhersehbar. Die angesprochenen Klischeebilder werden mit Witz verarbeitet, ohne dass dabei Grenzen überschritten werden. Große Erkenntnisse bleiben aus, unter die Gürtellinie geht aber auch nichts.
Das Ziel von „Voll verschleiert“ lautet ohnehin: Versöhnung. Und diese gibt es auch am Ende für alle Beteiligten. Was will man mehr?
„Voll verschleiert“ (Frankreich, 88 Minuten) läuft seit dem 28. Dezember in den deutschen Kinos. Regisseurin: Sou Abadi