Interview

Von Binsen und Idiotien

Ruhig war es, als wir Ende Mai den Frankfurter Redaktionssitz des Titanic-Magazins besuchten. Fernab von Pontifex und Pipifax sprachen wir mit Chefredakteur Leo Fischer über Rollen, gelungene Satire und ein Heftcover, das 2010 ähnlich gefühlsgeladene Reaktionen seitens der katholischen Glaubensgemeinschaft provozierte.

 

Leo Fischer, © Felix Linde

Was wir uns gefragt haben – Wie hoch ist Ihr Klout-Score?

Was ist ein Klout-Score?!

 

Klout ist eine Firma, die anhand der Vernetzung einer Person, das heißt ihrer Profile in Sozialen Netzwerken, den Einfluss der Person in der Gesellschaft feststellt.

Oho! Das will ich ja unbedingt auch!

 

In Ihrem Buch „Generation Gefällt mir“ beschreiben Sie, wie das reale Leben ins Internet auswandert und im Internet dupliziert wird. Ist es nicht mittlerweile so, dass in manchen Bereichen das echte Leben nur noch ein Anhängsel des Digitalen ist?

Das ist mit Sicherheit so. Ich erlebe es schon jetzt, dass ich in dem Sinne keine Termine mehr habe, die nicht über das Netz zustande gekommen wären und die ihre eigene Wirksamkeit erst  im Netz entfalten. Man trifft sich, damit etwas im Netz steht oder damit man es im Netz dokumentieren kann und dadurch erhält es erst Realität.

 

Wie kam es zu der Idee für das Buch?

Der Verlag kam auf mich zu. Ursprünglich sollte es ja wirklich ein Buch über Facebook und soziale Medien werden, aber dann stellte ich beim Schreiben fest: Sie verändern sich viel zu schnell! Und so habe ich die Texte, die mir zu dem Thema geeignet erschienen und die ich in Titanic hatte, mit einigen neuen Texten verbunden, und hoffe jetzt trotzdem, dass es so eine Art Stimmungsbild und Panorama über diese Generation – mit einem sehr marktschreierischen Titel – geworden ist.

 

Zu Ihrem persönlichen Werdegang: Sie haben vor der Titanic an Ihrer Doktorarbeit geschrieben…

Ich habe es versucht, ja.

 

Auch abgeschlossen?

Nein, ich habe über die Anfänge der Horrorliteratur in Europa geschrieben und habe mich da ein bisschen vernommen. Ich habe die Arbeit zu groß aufgestellt und hatte eine riesige Literaturliste, die ich abarbeiten musste – und irgendwann wurde ich halb wahnsinnig bei dem Stoff, den ich zu bearbeiten hatte, und habe mich auch sehr gelangweilt. Ich war zu dem Zeitpunkt aktiv im damaligen Leserforum der Titanic. Irgendwann wurde ich als Autor rekrutiert und habe eine Weile für die Homepage geschrieben. Dann durfte ich ins Heft. Ich wurde gefragt, ob ich ein Praktikum machen wolle. Ich wurde gefragt, ob ich Redakteur werden wolle. Ich wurde gefragt, ob ich Chefredakteur werden wolle.

 

Gibt es denn irgendwelche literarischen Vorbilder, denen Sie immer noch folgen, auch zum Beispiel in dem Genre der Satire?

Wem ich folge, das ist Eckhard Henscheid, Mitbegründer der Neuen Frankfurter Schule. Seine Art und Weise, Dummheit und Beschränktheit zu glorifizieren und gewissermaßen ins Mystische zu heben – das finde ich ganz großartig.

Ein anderer Name wäre dann noch Max Goldt, den ich auch immer bewundert habe. Seine Kolumnenkunst, die Art und Weise Sprache spielerisch einzusetzen und Sprache im Grunde von ihrem Gegenstand komplett zu entfremden, der Alltagssprache einen Zauber zu geben – das ist das, was Max Goldt sehr gut kann. Er nimmt einen Werbespruch, führt ihn in irgendetwas Mystisches über und sieht da eine ganze Philosophie und eine ganze Welt aufbranden.

 

Fühlen Sie sich manchmal ein wenig gefangen in Ihrer Rolle als Satiriker – zum Beispiel wenn die Leute ihnen nicht mehr über den Weg trauen?

Das ist natürlich ein Problem, gerade wenn man auf Journalistenkollegen trifft: Die sagen einem nichts, weil sie es sofort bereuen. (Lacht.) Dass die Leute ein bisschen Angst haben, ist letztlich das, was ich auch privat als ein wenig problematisch empfinde. Aber ich spiele nicht die Rolle des Satirikers. Ich könnte gar nicht anders. Es gibt so was wie den Berufssatiriker nicht. Das ist Herzenssache und liegt in einer Deformation der Persönlichkeit begründet.

 

Also muss man immer auf der Hut sein?

Ich hatte gestern einen Fernsehtermin beim HR, der wirklich entsetzlich war. Es ging um Wasserhäuschen, diese Kioske, wo man zu später Stunde noch Alkohol kaufen kann. Und dann meinte diese HR-Mitarbeiterin, sie fände es gut, wenn ich das Wort ‚Alkohol‘ nicht benutzen würde. Es gibt keinen anderen Grund, warum diese Buden existieren, außer dass man dort Alkohol kauft! Jetzt überlege ich schon sehr, ob ich das irgendwie in einem Artikel verwerte.

 

Sie sind jetzt seit 2008 Chefredakteur. Hat sich die Titanic verändert oder hatten Sie Pläne, sie zu verändern?

Was ich wollte, und was auch geklappt hat, ist, dass die Aktions- und Reportagesatire wieder eine Rolle spielt. Der letzte Chefredakteur der Titanic, Thomas Gsella, ist ja Lyriker und hat einen sehr literarischen Stil gepflegt. Es erschienen sehr viele großartige Literaturparodien in der Titanic, aber es ging irgendetwas verloren. Titanic lebt auch davon, dass wir nach draußen gehen, mit Menschen reden und etwas von der Wirklichkeit einfangen – und nicht nur am Schreibtisch sitzen und uns alles irgendwie aus den Fingern saugen. Man merkt Texten auch an, wenn sie erzwungen und originalitätssüchtig sind. Wenn ich mich nicht irre, haben wir jetzt in nahezu jeder Ausgabe einen Aktionsbeitrag. Sei es eine Telefonrecherche, sei es ein Ausflug, sei es eine Straßenaktion. Das ist auch Martin Sonneborns Erbe.

 

Ist die Leserschaft der Titanic dadurch jünger geworden?

Wir machen keine Marktforschung. Wir interessieren uns eigentlich nicht für Leser.

 

Gab es neben der Aktionssatire weitere Neuerungen?

Ein weiterer Trend, der mir immer wieder vorgeworfen wird: In immer mehr Heften seien Penisse zu finden. Früher, also ganz früher, war die Titanic – das war auch das schwere Erbe des Vorgängermagazins Pardon – eher ein Busenmagazin, was aber gar nicht so zieht. Titel mit nackten Frauen sind eigentlich eher unterdurchschnittlich verkauft.

 

Und Penisse kommen besser an?

(Lacht.) Penisse ziehen interessanterweise, ja.

 

Woran merkt man, ob jemand Satire schreiben kann?

Wir bekommen jeden Tag sehr viele Einsendungen. Bei den meisten weiß man schon nach zwei Absätzen, ob derjenige was verstanden hat. Es gibt viele gute Versuche, bloß sind die nicht für Titanic geeignet. Wir machen ja ‚endgültige‘ Satire, nicht alle mögliche Satire. Titanic ist eine Zeitschriftenparodie: Wir haben ein Editorial, das von Binsen und Idiotien so strotzt, wir klauen regelmäßig Formate anderer Zeitungen und üben uns in Stimmenimitation. Titanic hat schon den Anspruch, durchkomponiert zu sein. Das kann man den Leuten auch so sagen.

 

Dass sie nicht im Stil der Titanic schreiben?

Ja, man kann über viele Dinge Witze machen. Auch die Heute-Show macht Witze über Rainer Brüderle. Der spricht halt lustig. Das ist ja nicht das, was an ihm interessant ist. Interessant ist an ihm, wie er es schafft, diese neoliberale Agenda immer wieder neu zu verkaufen. Woher kommt dieser Aufschwung der FDP, wer wählt diesen Scheißladen eigentlich? Unsere Satire soll schon irgendwo abgründig sein, verzweifelt und an den Zuständen leidend. Die Leute in der Heute-Show sind eigentlich ganz froh, dass das alles so Affen sind. Und darin liegt für mich ein gewisses Verhängnis. Denn dann sieht man nicht, dass diese Leute Macht haben, die sie eiskalt einsetzen. Darüber kann ich dann nicht lachen. Vielleicht sind das die Grenzen der Satire.

 

 Ah, wir haben sie gefunden!

Ja, stimmt, das kann ich häufiger sagen jetzt. (Lacht.)

 

Wer von den Persönlichkeiten, die Sie in Titanic auf die Schippe genommen haben, hat am meisten Krawall gemacht?

In meiner Zeit der ZEIT-Herausgeber Josef Joffe, der war echt unglaublich. Wir haben auf unserer Homepage mehrere Kommentare von ihm veröffentlicht, die alle nicht von ihm waren. Sie waren sehr schrill im Ton und parodierten einerseits diesen bräsigen ZEIT-Tonfall, jubelten ihm aber auch echte Gemeinheiten unter. Zuerst schrieb er freundliche Briefe wie ‚Gratuliere, Kollege Fischer‘ – und wir machten einfach weiter. Er wurde dann richtig pampig und es endete mit dem Anwaltsschreiben. Eine Zeit lang kam er in jedem Heft vor, einfach weil wir’s wissen wollten. Aber mittlerweile hat er sich beruhigt und eingesehen, dass es ihm eher schadet, wenn er sich aufregt. Aufforderungen wie ‚Druckt das nicht‘ oder ‚Wie könnt ihr nur, ich komme mit dem Anwalt‘ stellen wir sowieso sofort ins Netz.

 

Dürfen solche Sachen überhaupt publiziert werden? Wie steht es mit Telefonmitschnitten?

Telefonmitschnitte darf man meines Wissens nicht absichtlich publizieren, deswegen publizieren wir sie immer versehentlich. Diese juristische Konzeption hat sich unsere Rechtsanwältin ausgedacht.

 

Was war in Ihren Augen die lächerlichste Reaktion auf eine bisherige Satire der Titanic?

„Kirche heute“, erinnert Ihr Euch an das Motiv?

 

"Kirche heute"-Cover
Titelbild April 2010, © Titanic

Das Cover, ja.

Das war 2010. Man sieht einen Priester, der auf ein Kruzifix zugeht – das ist aber auch schon alles. Wir hatten rund 200 Strafanzeigen wegen Volksverhetzung hier bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt. Der zuständige Staatsanwalt sagte dann in seiner Ablehnung all dieser Klagen, zu der Definition der Volksverhetzung gehöre, dass der öffentliche Friede gefährdet sein muss. In diesem Fall sei der öffentliche Friede nicht gestört, weil ihn die katholische Kirche bereits gestört habe. Das war direkt genial! Wir haben es dann auch so übernommen.

Dass es unverhältnismäßig war, kann man sicherlich sagen, weil man überhaupt nichts sieht und alles, wirklich alles, in der Phantasie des Betrachters liegt. Und dass diese bei den Katholen dann eine besonders perverse und säuische ist, spricht nicht zugunsten dieses Vereins.

[Anm.: Mehr zum Ausgang des Verfahrens gegen das „Kirche heute“-Cover kann man u. a. hier nachlesen]

 

Vorher sprachen wir über Grenzen. Welcher Artikel war Ihnen im Nachhinein selbst peinlich?

Peinlich ist mir grundsätzlich nichts. Aber ich mach’s mal über Angemessenheit. Es gab eine Selbstmordwelle vor einigen Jahren in Deutschland, als Robert Enke sich vor den Zug geworfen hat, aber auch ein Pharmaziehersteller namens Merk. Unsere Zeichner Greser und Lenz portraitierten Merk nach seiner Kollision mit dem Zug, also mit allem, was da so rumlag an den Gleisen. Ich weiß nicht, ob das eigentlich satirisch war. Es war eklig und schockierend, und ich frage mich, ob das in dem Fall die richtige Reaktionsweise war. Darüber habe ich jedenfalls viel nachgedacht.

 

Im Fall Robert Enke bekam die Titanic dann eine Rüge vom Presserat.

Da habe ich aber überhaupt kein Verständnis.

 

Das war ja auch eher eine BILD- oder Boulevardmeldungsparodie…

Selbstverständlich! Der Mann wurde nachträglich zum Nationalheiligtum stilisiert. Während er jahrelang gelitten hat, hat sich kein Mensch für ihn interessiert, am wenigsten die Medien, die nur darauf gewartet haben, dass er etwas falsch macht. Aber als er sich auf spektakuläre Weise umbringt, weinen alle und es gibt sogar einen Fackelzug durch Hamburg, als wäre ein politischer Messias gestorben. Darum ging’s uns.

 

Bereitet es Ihnen manchmal schlaflose Nächte, dass Sie für Ihre Recherchen die BILD abonnieren müssen?

Das macht mir keine Sorgen. Ich bin ja letztlich jemand, der neben einem Unfall stehen bleibt und gafft. Ich sehe die Bild eher als Gesamtkatastrophe. Als einen einzigen schrecklichen Unfall, ein Schlachtengemälde. Letztlich muss ich es konsumieren, um darauf reagieren oder es begreifen zu können. Das sind ja keine dummen Menschen, die da arbeiten. Es sind sehr schlechte Menschen und bösartige Menschen. Und sie arbeiten mit bestimmten Mitteln. Um die zu verstehen und beschreiben zu können, muss man das selbstverständlich wahrnehmen. Wie ja auch Satire nicht dadurch entsteht, dass man Sachen ignoriert.

 

Sie standen kürzlich bei einer Satire-Aktion in Frankfurt vor einem Swatch-Laden und sorgten mit „Kauft nicht bei Schweizern“-Transparenten und NS-Kleidung für Aufsehen. Sind Nazi-Zitate immer ein Selbstläufer?

Also, in diesem Fall fand ich es absolut angemessen, weil in der Schweiz eine Partei am Ruder ist, die mit rechtspopulistisch noch gelinde beschrieben ist. Sie schürt eine monströse Stimmung in der Schweiz. Da ist es die richtige Reaktion, Populismus mit Populismus zu bekämpfen. Das war übrigens auch die Idee von vielen Sonneborn-Aktionen, als die FDP ihr Projekt 18 hatte und mit antisemitischen Sprüchen – Jürgen Möllemann ist da nur ein Name – Werbung zu machen versuchte. Wir haben genau dasselbe gemacht, nur noch extremer. Etwas durch Übersteigerung lächerlich zu machen, das ist eine gängige Methode.

 

Aber generell zieht Hitler auf dem Cover schon, oder?

Ja, leider. (Lacht.) Es ist immer extrem verführerisch, Hitler auf den Titel zu setzen. Ein Hitlertitel verkauft sich automatisch 20 bis 25 Prozent besser. Aber eigentlich schäme ich mich ein bisschen dafür und versuche, das auf das Minimum zu begrenzen.

 

Man macht es sich dadurch vielleicht auch ein bisschen einfach?

Genau. Es ist künstlerisch wenig reizvoll. Man möchte ja nicht das Magazin sein, das immer wieder den gleichen Witz reißt oder Altes wieder aufwärmt. Bei Titanic soll immer der neue, der frischeste Witz dran sein. Vielleicht ist das auch unsere eigentliche Aufgabe.

 

 

Leo Fischer leitet seit 2008 das Satiremagazin Titanic. Zuvor hat er sich bei seiner Doktorarbeit so gelangweilt, dass er internetsüchtig wurde und ständig in Foren herumhing. Dort hat ihn die Titanic entdeckt. Unter seiner Führung ist das Heft von einem Busen- zu einem Penismagazin avanciert.

 

 

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