Fassbinder 1971
Kulturphilter

So jung und so frei von Widersprüchen

Die Rainer Werner Fassbinder-Ausstellung im Deutschen Theatermuseum München

Dass Rainer Werner Fassbinder sich mit seinem Vater Helmuth als Jugendlicher heftige Prügeleien lieferte, verwundert nicht besonders – schon eher erstaunt die sanfte Zärtlichkeit der Gedichte, die er seiner Mutter Liselotte Eder in dem schmalen Bändchen „Im Land des Apfelbaums“ widmete, nachdem er ein Schuljahr wiederholen musste.

Es sind vor allem die Einblicke in das Leben des ganz jungen Fassbinder, die den Reiz der Ausstellung „Rainer Werner Fassbinder: Theater“ im Deutschen Theatermuseum in München ausmachen: in der Beziehung zu seinen Eltern, als Schauspielschüler und als Theaterbesucher, der schon bald selbst die Bühne erklomm.

Begrüßt werden die Besucher der Ausstellung von einem Banner, das den Muff unter den Talaren anprangert, schräg darunter ruft ein wandgroßes Foto eines Nudisten-Happenings den sozial- und kulturgeschichtlichen Kontext der 1960er Jahre in Erinnerung, in dem sich das frühe Schaffen des gebürtigen Schwabens entwickelte.

Fassbinder 1967
Rainer Werner Fassbinder in seiner zweiten Theaterproduktion: Die Inszenierung von Büchners „Leonce und Lena“ im Münchner antiteater vom 3. Oktober 1967 (© media.news.de)

Im ersten Stock der Ausstellung unterbricht die Stimme des kongenialen Fassbinder-Mitstreiters Peer Raben regelmäßig die Betrachtung der Stadtkarte Münchens, auf der wichtige Stationen im Leben des Skandalregisseurs verzeichnet sind: „Wir sind nicht in den Münchner Kammerspielen (…) wir spielen Theater und lieben das Geld (…) wir sind nicht fixierbar und selbst fixiert“ tönt Rabens Stimme von der Leinwand, als er das Manifest des antiteaters verliest, des progressiven Münchner Theaterkollektivs der 1960er Jahre, in dem der junge Rainer Werner Fassbinder seine Theaterkarriere begann.

Rainer Werner Fassbinder sagte einmal, befragt zum Verhältnis von Film und Theater: „Beim Theatermachen lerne ich mehr. Erfahrungen, die man beim Film macht, kann man am Theater nicht verwerten, wohl aber umgekehrt.“ Diese Einschätzung liegt unausgesprochen der Ausstellung zugrunde, stellt sie doch auf 26 großformatigen Schautafeln sein Schaffen als Dramatiker und Theaterregisseur – und nicht als Filmemacher – materialreich dar, immer wieder unterstützt von Interviewausschnitten und Verfilmungen seiner Stücke – denn Aufnahmen der Theaterinszenierungen sind kaum vorhanden.

Verbunden damit ist die These von Fassbinder als Vorreiter und Wegbereiter des postdramatischen Theaters. Angerissen wird das in Interview-Mitschnitten aus dem Jahr 1973, in denen er von der „Kühle der Inszenierung von Menschen“ in seinem Stück „Katzlmacher“ spricht, für das er 1968 den Gerhart-Hauptmann-Preis erhalten hatte. Die Loslösung von der Absicht, Persönlichkeiten darzustellen, wird auch im fast regungslos monotonen Sprechen seiner Film- und Theaterfiguren sichtbar – Figuren, die zu Textträgern geworden sind und an denen nicht mehr ihre Individualität, sondern das Netz ihrer wechselseitigen, sozialen Interaktionen interessiert. In einem Tonbeitrag zu „Die Verbrecher“ berichtet Fassbinder davon, wenn er von der Reduktion des Spiels der Schauspieler spricht, um sich auf die Vorgänge zwischen den Figuren konzentrieren zu können.

Als Dramatiker, so betont die Schautafel zu „Zum Beispiel Ingolstadt“ scheute er sich nicht, gemäß einer Technik, die er später „Imitationsverfahren“ nannte, fremde Passagen oder ganze Stücke mit nur geringsten Änderungen zu übernehmen – eine klare Unterscheidung von Original und Abbild wurde dadurch unmöglich. Fassbinder trug so dazu bei, das klassische Prinzip der Repräsentation auf dem Theater auszuhebeln. Dass diese Textproduktions- und inszenierungsästhetischen Fragen durchaus in Zusammenhang mit inhaltlichen Absichten Fassbinders standen, deutet die Ausstellung an, führt es jedoch nicht aus. Dagegen hatte Joanna Firaza schon 2002 aufgezeigt, dass, wenn das Theater den Anspruch der Nachahmung von Wirklichkeit aufgibt, wenn stattdessen das Prinzip der Simulation hinter jeder Maske hervorlugt, auch jede Wahrheit als Illusion demaskiert wird.

Fassbinder 1971
Werbeplakat zu Fassbinders Theaterstück Blut am Hals der Katze vom 20. März 1971 (© br.de)

Daneben bietet die Ausstellung so manchen Einblick in Fassbinders frühe Faszination am Theatermachen, etwa wenn er das von der befreundeten Schauspielschülerin Ursula Strätz gegründete und im Kollektiv betriebene antiteater mit den Worten beschreibt: „Zwischen den Schauspielern und dem Publikum entstand etwas wie Trance, etwas wie eine kollektive Sehnsucht nach revolutionärer Utopie.“ Immer wieder wird hier der politische Fassbinder sichtbar, dessen Version der Goetheschen Iphigenie auf Tauris zur bitterbösen Gesellschaftskritik gerät und bei dessen zweitem Schauspielstück am antiteater, Tomaten an das Publikum verteilt wurden, mit der Aufforderung, sie zur rechten Zeit auf ein Bildnis des Schahs von Persien zu werfen.

Viel Material – Überblickstexte, Film- und Tonbeiträge – vor allem über die Frühzeit des Fassbinderschen Theaterschaffens bis zum Ende seines Engagements am Theater Bremen 1971 wird im Deutschen Theatermuseum ansprechend und detailliert dargeboten. Dennoch fällt es schwer, die Bedeutung des Fassbinderschen Theaterschaffens für sein eigenes Werk und für die Entwicklung des Theaters zu erfassen. Das liegt auch daran, dass die Begründung der aufgeworfenen These der postdramatischen Qualität des Fassbinderschen Theaters spärlich ausfällt – die für Fassbinder grundlegende Ambivalenz zwischen realistischem, politischem Drama und einem Theater, das sich von der Abbildung der Wirklichkeit verabschiedet hat, blitzt nur im Einzelfall auf. Fassbinder erscheint so als fixierbar und fixiert – seine charakteristische Widersprüchlichkeit wird nicht erfahrbar.

Die Ausstellung ist noch bis zum 9.September zu sehen, Dienstag bis Sonntag von 10.00 bis 16.00 Uhr im Deutschen Theatermuseum Galeriestr. 4a.

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