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Mein Abend mit einer Literaturnobelpreisträgerin

LMU im Dialog mit Herta Müller

Es ist schon lange dunkel, als ich mich am Donnerstag (12.11.09) in die Uni zu einem besonderen Abend aufmache. Nicht mit Schlafsack und Zahnbürste bewaffnet, um die Audimaxbesetzung zu unterstützen, sondern mit großen Erwartungen und zugegeben bescheidenen Lektüre-Erfahrungen: Heute Abend werde ich einer Nobelpreisträgerin zuhören.

Es sind viele Leute gekommen. Ausverkauft. Lange Schlangen an den Abendkassen und den Buchständen. Atemschaukel in hundertfacher Ausgabe. Ob das reichen wird?! Weiter, nicht nach links in die Thomas-Mann-Halle, sondern mit all den anderen rechts entlang in die Große Aula. Vielleicht wird auch die irgendwann umbenannt werden. Die Stimmung ist feierlich. Erwartungsvoll. Sechs hundert Menschen sind gespannt, stehen teilweise und dann wird sie uns von Professor Huber im Namen des Literaturhauses München und der LMU angekündigt: Lobender Beifall empfängt die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller.

Das passiert einem nicht oft im Leben – dort auf der Bühne eine Nobelpreisträgerin. Klein und zierlich sieht Herta Müller aus. Ganz in schwarz. Dunkle Haare. Zerbrechlich erscheint sie mir. Herr Professor Sienerth vom Institut für Deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas begrüßt die Schriftstellerin. Beinahe befremdet wirkt sie, als er neben ihr beginnt, uns von ihrer aufwühlenden Vergangenheit zu berichten. Berührt bei der Erwähnung ihrer Bespitzelung durch die Securitate, den rumänischen Geheimdienst. Beklommen, als von den Verschleppungen und Deportationen Oppositioneller in stalinistische Zwangslager erzählt wird. Wie abwesend.

Endlich erhält Herta Müller das Wort. Bedankt sich höflich, verbessert ihren Vorredner kurz, beantwortet Fragen zur Entstehung von Atemschaukel. Sie erzählt von  ihren Erlebnissen bei der Befragung von Überlebenden der Zwangslager und von ihrer Reise an solche Orte in der heutigen Ukraine mit dem Lyriker Oskar Pastior, der mit siebzehn für vier Jahre ins Arbeitslager verschleppt worden war.

Dann beginnt sie vorzulesen. Sie nimmt uns mit in die graue, bedrohliche, unheilvolle Welt eines solchen Zwangslagers. Bizarr und unbegreiflich sind die Dinge, die sie uns erzählt. Die Bilder sind trostlos und erdrückend. Ihre Sprache jedoch ist klar und stark. Sie erzählt uns vom Hunger, vom Bedroht-Sein, von der Angst, von einem Leben im Extremen. Ich frage mich, woran ein Mensch sich nur festhalten kann, wenn ihm nichts zu bleiben scheint. Die Antwort aber gibt Herta Müller vorerst nicht. Begeisterter Beifall beendet ihre Lesung.

Beinahe nur lächelt sie bei dem Applaus und dann lacht sie doch, als die strengen Signierregeln verlesen werden. Die Schlange zieht sich bereits durch die halbe Aula. Ich lasse sie hinter mir, doch ein wenig von dieser kleinen Frau, der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, nehme auch ich mit, als ich raus auf den Geschwister-Scholl-Platz trete.

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