Interview

„Ich kann anders sein und es auch feiern, anders zu sein“

Ein Coming-Out ist immer ein elementares Ereignis, so auch für Personen auf dem aromantischen (aro) und asexuellen (ace) Spektrum. Lotte und Nathalie sprechen mit philtrat über ihr Outing, übergriffige Kommentare und Unterstützung aus ihrem privaten Umfeld.

Von Benedikte Eiden

First things first: Asexualität und Aromantik

Asexualität bedeutet, dass keine oder geringere sexuelle Anziehung zu anderen Menschen empfunden wird. Aromantik, dass keine oder geringere romantische Anziehung zu anderen Menschen empfunden wird. Dabei können sich Menschen gleichzeitig mit dem asexuellen und aromantischem Spektrum identifizieren, oder nur mit einem der Begriffe. Menschen auf diesem Spektrum sind Teil der LGBTQIA+ Community. Ob, mit wem und in welcher Form aro/ace Personen Beziehungen eingehen, ist sehr individuell.

Irgendwas hat nie so richtig gestimmt, ich wusste aber lange nicht, was eigentlich

Lotte (24) weiß schon lange, dass sie nicht hetero ist. Doch auf Grund von mangelnder Repräsentation und Aufklärung über ace/aro, outete sie sich während der Schulzeit zunächst als bisexuell: „​​Ich wusste eigentlich dann schon, dass ich mich nicht wirklich bisexuell fühle. Irgendwas hat nie so richtig gestimmt, ich wusste aber lange nicht, was eigentlich“, sagt sie. Durch das Schreiben einer Hausarbeit über Geschlechteridentitäten ist sie ein paar Jahre später auf den Begriff Asexualität gestoßen und hat sich mehr mit dem Thema befasst: „Ich habe mich direkt damit identifizieren können und sofort meiner Mutter davon erzählt“. Kurz darauf folgte das Outing als aro. Doch es brach eine weitere Phase der Selbstfindung und Unsicherheiten an: „Wirklich glücklich war ich erstmal nicht damit. Ich habe noch zwei weitere Jahre gebraucht, bis ich mich damit wohl fühlen konnte. Währenddessen hatte ich viele Momente, wo ich mich gefragt habe, warum ich nicht einfach normal sein könne“. Neben mangelnder Repräsentation und Aufklärung waren auch übergriffige Kommentare ein Grund für viele Unsicherheiten während dieser Zeit. Sprüche wie „Vielleicht ist es ja nur eine Phase“ oder „Die richtige Person kommt schon noch“ sind dabei ganz weit vorne.

Mittlerweile fühlt sich Lotte sehr wohl mit ihrem Label und bekommt viel Unterstützung seitens ihrer Freund*innen und Mutter: „Meine Mutter hat mich während der kompletten Findungsphase unterstützt. Wir haben viel darüber geredet, wie es sich für mich anfühlt, aro/ace zu sein – wie meine eigene Definition davon ist und nicht die allgemeine Definition.“ Ein Highlight für Lotte war der Christopher Street Day im Sommer 2023, auf dem sie das erste Mal als Teil einer Aro/Ace-Community war: „Dort habe ich begriffen: Ich kann anders sein und es auch feiern, anders zu sein“. Dennoch kämpft sie manchmal noch mit Zweifeln, insbesondere bezogen auf ihre Zukunft: „Die richtig unangenehmen Fragen werden noch kommen, wenn ich mal älter bin oder Mutter werde. Dabei möchte ich ein ganz normales Leben führen: Ich will einen kleinen Buchladen führen, ein Kind großziehen und in Italien Urlaub machen – nur eben ohne (romantische*n) Partner*in. Eigentlich schon ein bisschen spießig, aber oft finden andere Leute das total verrückt“.

Das Finden der eigenen Identität ist ein komplexer Weg (Symbolbild) © Özge Demir

Aro/Ace ist eine vielfältige Orientierung, die für jede Person anders aussieht

Ähnlich wie Lotte hatte auch Nathalie (25) schon früh das Gefühl, nicht hetero zu sein. Sie outete sich während der Schulzeit als lesbisch, ohne Vorstellung, was aro/ace zu sein eigentlich bedeutet. Für Nathalie war diese Zeit ebenfalls geprägt von Unsicherheiten, getriggert durch übergriffige Kommentare: „Als Teenie musste ich mich oft unangenehmen Fragen stellen: ‚Warum hast du noch keine Beziehung?‘ oder  ‚Wann bekomm ich dann meine Enkel?‘. Für mich war das sehr übergriffig.“ Während ihrer Ausbildung merkte sie durch Gespräche mit queeren Freund*innen zunehmend, dass sie eigentlich gar keine sexuelle und romantische Anziehung verspürt, unabhängig vom Geschlecht. In Fan-Fictions fand sie außerdem einige aro/ace Charaktere, mit denen sie sich identifizieren konnte. Ihr zweites Outing folgte knapp ein Jahr später vor ausgewählten Freund*innen: „Ich habe mir immer sehr bedacht überlegt, vor wem ich mich outen möchte. Deswegen habe ich mich im Kreis meiner engen Freund*innen geoutet, vor meiner Familie aber noch nicht“. Durch ihr bedachtes Outing bekam sie aber durchweg positive Reaktionen und viel Unterstützung seitens ihrer Freund*innen.

Nach Jahren der Selbstfindung hat Nathalie es geschafft, sich von hetero-normativen Vorstellungen von Sexualität und Beziehungen zu lösen. In ihren Augen mangelt es an Aufklärung, da viele Personen immer noch unpassende Vorstellungen davon haben, was ace/aro sein bedeutet. Sie sagt: „Aro/Ace ist eine vielfältige Orientierung, die für jede Person anders aussieht. Es bedeutet, keine oder wenig sexuelle Anziehung zu verspüren, und eben nicht, dass man (nur) kein Sex hat“. Auch wünscht sie sich mehr Raum, um sich über die eigenen Emotionen auszutauschen: „In meinen Augen muss man das ganze Thema Queerness komplett enttabuisieren“.

Für mich ist durch mein Outing viel Stress und Ballast abgefallen

Mangelnde Repräsentation und Sichtbarkeit, genauso wie unzureichende Aufklärung und heteronormative Erwartungen von Sexualität und Beziehungen machen es Menschen auf dem aro/ace Spektrum nicht leicht, den eigenen Platz zu finden. Das Coming-Out ist dabei ein wichtiger und mutiger Schritt, der oft von Selbstzweifeln und Unsicherheiten begleitet wird. Für Lotte und Nathalie war dieser Weg herausfordernd, aber schlussendlich erfüllend und bestärkend: „Für mich ist durch mein Outing viel Stress und Ballast abgefallen, weil ich mich endlich mit einem Label wohl fühlen konnte“, sagt Lotte. Beide betonen dabei die Vielfalt und Individualität des aro/ace Spektrums. Sie wünschen sich mehr Aufklärung und weniger Vorurteile gegenüber ihrer Orientierung, sowie mehr Raum für offene Gespräche über Emotionen und Beziehungen. Der Weg ist das Ziel.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...