Kulturphilter

Hören Sie endlich auf, Ihre Meinung zu sagen!

René Pollesch zündet ein Wortfeuerwerk mit XY Beat im Werkraum der Münchner Kammerspiele

Meinungsfreiheit ist Totalitarismus. Pollesch schickt vier Menschen auf die Suche nach der offensivsten Ungenauigkeit, dem Klatsch und Tratsch. Er sei die einzige Waffe für Meinungen im Treppenhaus und überall dort, wo Menschen sich zusammenrotten.

Wer Pollesch kennt, der weiß, da wird geschrien und gerungen mit sich und anderen. Monologe, Dialoge, Zitate und Lieder werden aneinander geflickt. Es knallt. Das Stück ist schnell, sehr schnell. Banalitäten und Sinnfreiheiten werden mit Weisheiten gemischt. Was da im Werkraum am Zuschauer vorbeifährt, ist ein skurriles Karussell. Im Laufe des Stücks springen alle auf. Im umgebauten lila Werkraum mit Silberwand spielen sich die vier Schauspieler quer durch den Raum. Sie halten hier Schilder hoch, „Wir danken für die lange Anreise“, spielen dort Gitarre. Die austauschbaren Subjekte der Hausgemeinschaft tratschen im Treppenhaus, oder tun sie Meinungen kund? Sie suchen nach Unverbindlichkeit, würden aber so verdammt gerne etwas meinen. War nun Adorno bei Frau Brummer über Nacht? Hat sich Herr X bei Herrn Y ausgeweint? Warum hat sich Frau sowieso gestern einen angedüdelt?

Das Gehirn ist eben keine Festplatte, es wohnt dort hinten, im Gedächtnisraum. Dieses Stück ist keine Meinung. Ein Mann mit Cordhose macht uns darauf aufmerksam, dass in uns die Angst schlummert: „Schauen wir einmal weg vom Fleck, ist der Überzieher weg“. Ständige Rastlosigkeit, immer sind wir beunruhigt. Wir zappeln wie Käfer, während wir behaupten, die Ruhe gefunden zu haben. Alle kochen mit Wasser, aber René Pollesch nicht. Der Mann mit Cordhose reißt sich die Kleider vom Leib und trägt einen Ganzkörperanzug mit großen Pailletten auf den Schultern. Er ist anders. Er weiß, worauf es ankommt ist Tratsch. Die Subjekte kommunizieren mit allen erdenklichen Medien, machen mal so richtig hemmungslos Party. „Shout it all out“, dröhnt die Musik aus den Boxen. Die vier Treppenhaustratscher verteilen Bierkrüge und Cordhosen ans Publikum und setzen sich in die Runde der Zuschauer. Es ist Zeit sich auszuziehen. Die vier Halbnackten springen durch den Raum, es ist richtig schön laut.

„Doch was ich eigentlich brauche, fehlt“, sagt einer der Brummers oder wie auch immer die Menschen im Treppenhaus heißen. Es scheint in diesem Stück egal zu sein. Ist es nun das Wichtigste, dass einer einem die Hand hält oder, dass wir nichts mehr meinen? Egal, Hauptsache mittendrin. Die eineinhalb Stunden von XY Beat ist der Zuschauer mittendrin, lacht und wundert sich. Bravo, mehr davon. Der Schluss ist leider enttäuschend, aber trübt das Erlebnis Pollesch nicht wirklich. Und wehe Sie sagen noch einmal Ihre Meinung!!

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