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Filling the void

Impressionen Neuer Musik aus New York

Eine Videoinstallation im Guggenheim Museum zeigt einen alten Mann, der vier Minuten dreiunddreißig Sekunden lang auf einem Stuhl sitzt. Ned Rothenberg spielt avantgardistische Musik im The Stone. Ist jenes Tanz? Ist dieses Jazz? Einige Eindrücke aus der Welt der Neuen Musik und der zeitgenössischen Kunst.

Ein alter Mann blickt in die Leere. Jedenfalls wörtlich. Ob auch im übertragenen Sinn, soll hier noch nicht entschieden werden. Die Leere ist die Rotunde des Guggenheim Museums in New York, auch the void genannt, und zentrales Element des berühmten Baus von Frank Lloyd Wright. Der alte Mann entstammt einer Videoinstallation von Tacita Dean, er sitzt auf einem Stuhl in einem hellen, weiten, dabei nicht besonders luxuriösen Raum, vielleicht einem Tanzstudio. Von Zeit zu Zeit schließt und öffnet er die Lider, bewegt die Augen, den Kopf. Er thront ganz oben auf der spiralförmigen Galerie, die um die Kuppel und zu den verschiedenen Ausstellungsräumen führt. Die meisten Besucher kommen nicht so weit, die wenigen übrigen sind mit dem Mann und der Stille ganz oben in der Rotunde weitgehend allein.

Zwischen Jazz, Klassik und reinem Klang

„Sie glauben, das war Jazz? Wieso?“ Künstlergespräch im The Stone, 86 Streets südlich vom Guggenheim, immer noch Manhattan. Der Club ist eine Institution, wenn es um experimentelle Musik geht und man leistet sich ein unauffälliges Äußeres: Die Fenster schwarz verklebt, der Name in winzigen Buchstaben über der Türklinke. Innen ein schlichter Backsteinraum, Fotos von Musikern, die Toilette ein Verschlag hinter der Bühne:  „Während der Aufführungen bitte nicht benutzen.“ Im The Stone spielt heute Ned Rothenberg (Bass- und Altklarinette  sowie Shakuhachi, eine japanische Bambusflöte) zusammen mit einem Cellisten, einer Musikerin an Laptop und Mischpult und einem Herrn, der sich an „different… well… glass objects“ betätigt. Im Timeout New York war die Veranstaltung dem Jazz zugeordnet, doch es erweist sich als gefährlich, sich da zu sehr festzulegen. Jazz habe er schon genauso gespielt wie bis in die letzte Note auskomponierte Klassik, sagt Rothenberg. Und heute? „Einfach zeitgenössische Musik.“

Zurück im Guggenheim. „Filling the void“ steht als Motto über einer Ausstellung, für die Künstler, Designer und Architekten aus aller Welt  gebeten wurden, ihre Visionen einzuschicken, wie man den zentralen Raum des Museums gestalten könnte. Eine der originellsten Lösungen hat das Thema wörtlich genommen: The void in Schweizer Schokolade, die berühmte Rotunde als Gussform für eine Praline. Vielleicht gar keine so schlechte Antwort auf die Idee, die Leere füllen zu wollen: Das Projekt durch übersteigerte Körperlichkeit ad absurdum geführt, noch dazu in einem so sinnlichen, gleichzeitig unkünstlerischen Material wie Schokolade.

Tanzend und schweigend die Leere gestalten

Im The Stone ein Solo des Glasmusikers. Manchem Zuhörer mag etwas mulmig werden beim Anblick der vielen scharfen Kanten seiner zum Teil aus Scherben bestehenden Instrumente. Ob die Aufführung wohl rein akustisch bleiben wird? Sie wird, ein reines Klangkunstwerk, dem sich alles unterordnet: Die stupende Technik des Cellisten, der phasenweise in Flageoletts über die Saiten fegt, die sich wiederholenden Figuren auf der Klarinette, die kaum von melodischen Ausbrüchen getrennt werden. Nach einer knappen Stunde wird das letzte Stück angekündigt, Rothenberg stößt seinen Instrumentenständer um, ein klapperndes Geräusch auf dem Bühnenboden. „Tja, das war’s dann schon“, kommentiert der Glas-Musiker. Doch dafür ist die Sache zu ernst:  Das letzte Klangkunstwerk wird den Zuhörern nicht vorenthalten.

Der ältere Herr im Guggenheim blickt immer noch von seinen Leinwänden in die Leere. Es ist Merce Cunningham, Tänzer und Partner des Komponisten John Cage. Er hat viele von Cages Stücken choreographiert und auch die Installation im Guggenheim zeigt eine Choreographie zu Cage: Cunningham tanzt dessen 4′33″, drei Sätze reine Stille, mit denen Cage 1952 die Neue Musik revolutionierte. Was Cage tat, was Cunningham und Dean hier tun, ist sicherlich „Filling the void“.

(Fotos: Anton Freund)

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