Im Prinzregententheater erfährt George Benjamins bewegende Oper Written on Skin ihre deutsche Uraufführung
Ein Jahr nach der Uraufführung in Frankreich hat die Bayerische Staatsoper George Benjamins neue Oper Written on Skin im Rahmen der Festspiele nach München geholt. In dem Stück verbindet sich eine archaische Geschichte mit modernster Musik. Eine Mischung, die mitreißt und bewegt.
„Eine Frau, die echt ist“ soll er für sie malen. Das wünscht sich die Hauptfigur Agnès von dem namenlosen jungen Buchschreiber, der von ihrem tyrannischen Ehemann, dem „Protektor“, mit der Aufzeichnung seines gesamten Besitzes beauftragt wurde. Und der Junge folgt ihrem Wunsch: Er malt eine Frau, die echt ist; eine Frau, die nachts nicht schlafen kann; er malt Agnès.
In dieser Szene offenbart sich schon, worum es dem Komponisten George Benjamin und seinem Librettisten Martin Crimp in ihrer neuen Oper Written on Skin geht: um das menschliche Drama, das sich hinter dem Bild, hinter der Kunst verbirgt. Sie verstehen die Kunst als Mittel, um zu einem tieferen, „echteren“ Verständnis des Menschlichen zu kommen. Und das – so muss man voller Bewunderung zugeben – haben sie mit ihrem neuen Werk auch geschafft.
Die feinsinnige Anfangsszene zwischen Agnès und dem Jungen bringt die Handlung des Stücks ins Rollen. Die beiden beginnen eine heimliche und stürmische Liebesbeziehung, die Agnès schließlich zur Rebellion gegen ihren herrschsüchtigen Ehemann verleiten und – ganz in der Tradition der Opera seria – im gewaltsamen Tod der Verliebten enden wird. Diese geradezu archetypische Dreieckserzählung, die im 13. Jahrhundert verortet ist, verbindet Martin Crimp in seinem hochpoetischen Text mit einer raffiniert-postmodernen Erzählweise, die den Zuschauer stets auf Distanz hält und auf die Irrealität der Geschichte zurückwirft: Alle Figuren auf der Bühne sprechen von sich selbst zumeist in der dritten Person, kommentieren das Geschehen und wechseln ihre Rollen. Dieser Umstand tut der Intensität und Eindrücklichkeit der Erzählung jedoch keineswegs einen Abbruch, sondern macht im Gegenteil den individuellen Schmerz jeder Figur auf vielerlei Ebenen erfahrbar. George Benjamins entrückte Musik, die sich in emotionalen Momenten fast eruptiv über den Zuschauerraum ergießt, um sich dann wiederum zu feinsten Klangteppichen zu verweben, tut das Ihrige dazu, die Aufmerksamkeit der Zuschauer die ganze Zeit über zu fesseln.
Zwischen Archaik und Moderne
Auch die Regisseurin Katie Mitchell zeigt sich mit ihrer subtilen Inszenierung der Komplexität des Stoffes mehr als gewachsen. Sie versetzt die Sänger in ein zweistöckiges Gebäude, das halb modern, halb mittelalterlich ausgestattet ist. Durch die linke Seite des Hauses wachsen Bäume, die bis durch die Decke ragen. So nimmt Mitchell die gewagte Mischung aus Archaik und Moderne, die die Dynamik des Stückes ausmacht, gekonnt in ihr Bühnenbild auf. Auch die komplizierte Erzählweise Crimps setzt sie szenisch um, indem sie die drei Engel, die das mittelalterliche Geschehen kommentieren, in beklemmender Slow Motion agieren lässt. Erst in der letzten Szene, in der Agnès von ihrem eifersüchtigen Ehemann durch das Haus gejagt wird und sich schließlich mit einem Sprung durchs Fenster in den Tod rettet, dreht sie analog zu Text und Musik – das Geschehen wird zum Schluss nämlich lediglich erzählt – den Spieß um: Nun flieht Agnès, der Barbara Hannigan am heutigen Abend ihren sinnlichen und ausdrucksstarken Sopran verleiht, mit bedrückender Langsamkeit vor dem „Protektor“, gespielt und gesungen von Christopher Purves.
Purves gelingt es mit seinem vollen und intensiven Bariton die Brutalität und Aggression des Protektors durchwegs überzeugend zu vermitteln, auch wenn ihm in den zarten Passagen bisweilen die Stimme zu zerbröckeln droht. Iestyn Davies, der den boy sowie einen der Engel singt, wartet mit einem klaren und reinen Countertenor auf, dem es nur zu Beginn ein wenig an emotionaler Gestaltung fehlt. Zusammengehalten wird das Ganze durch das souveräne und präzise Dirigat Kent Naganos, dessen Expertise in Neuer Musik sich in dieser Oper besonders auszahlt.
An diesem Abend passt im Prinzregententheater einfach alles zusammen: Written on Skin geht bis unter die Haut und hat sich das ausverkaufte Haus und den rauschenden Schlussapplaus redlich verdient.