Unileben

Eine Welt aus eigenen Schatten

Wenn auf Drogen Paranoia folgt

Foto: Sebastian Glautec unter CC BY-NC-SA 2.0

Die eigenen Kommilitonen lachen dich aus, die Kassiererin hält dich für hässlich, dein Freund betrügt dich, der Mann, der gerade aus dem Auto gestiegen ist, wartet nur darauf, dass du in eine einsame Gasse einbiegst: Drogenkonsum kann diese Formen von Paranoia hervorrufen – und sie bleiben womöglich länger als der Rausch.

„Morgens, Bus zur Uni. Je mehr sich der Bus mit Leuten füllt, desto unwohler fühle ich mich. Möchte eigentlich am liebsten verschwinden, unsichtbar sein. Ich habe das Gefühl, angestarrt, beobachtet zu werden, von all den Leuten um mich herum. Ich halte mich für durchschnittlichen Durchschnitt, aber jetzt fühle ich mich auffällig – zu auffällig. Ich werde unsicher, weiche Blicken aus, starre zwanghaft auf einen neutralen Punkt. Ich höre Gekicher, blicke mich schnell um, um heraus zu finden, wer gelacht hat. Über mich? Ich erwische einen Blick auf mich und fühle mich sofort bedroht.“

Anna K. nimmt seit zwei Jahren keine Drogen mehr. Aber immer noch gibt es Tage, an denen sie das Gefühl hat, jeder sei hinter ihr her. Auf ihrem Nachhauseweg gibt es einige einsame Straßen… Vor allem nachts werden die Eindrücke manchmal übermächtig. „Eine eigene Welt aus Schatten,“ so nennt sie es. Einmal hat sie mit ihrem Auto eine Vollbremsung hingelegt – ein Mädchen war ihr vors Auto gelaufen! Als sie jedoch ausstieg, war da kein Mädchen. Drei Soldaten gehen die Straßen entlang, sie haben keine Gesichter, nur schwarze Flächen, und bedeuten ihr, ihnen zu folgen. „Es ist unmöglich sie zu ignorieren, sie stehen neben mir und warten. Niemand anders sieht sie, niemand weiß von ihnen, ich bin alleine damit.“ Anna sieht noch einmal hin, die Soldaten sind weg. Seit sie keine Drogen mehr nimmt, werden solche Erlebnisse weniger, die letzten Halluzinationen sind Monate her. Aber mit ihren Paranoia kämpft sie immer noch.

Auch Jonathan C. leidet unter den Folgen seines Drogenkonsums: paranoide Schizophrenie und Panikattacken. „So eine heftigere Attacke geht bei mir immer mit Licht- und Geräuschempfindlichkeit einher. Normales Licht ist schon blendend, normale Geräusche oder Autolärm sind schmerzhaft laut.“ Er hat ebenfalls vor zwei Jahren größtenteils mit den Drogen aufgehört.

Psychopharmaka, Halluzinogene, Amphetamine

Beide haben MDMA genommen, auch LSD und Speed, Haschisch. MDMA, die bekannteste Form von Ecstasy, ist ein Psychopharmakon. Es beeinflusst vor allem: Denkvermögen, Wahrnehmung, Stimmung.

LSD zählt wie Ketamin oder „Zauberpilze“ zu den Halluzinogenen, die das Erleben von Raum und Zeit völlig verändern, Denkprozesse und Assoziationen unterbrechen oder durcheinander werfen und vor allen Dingen das begrenzte Ich-Bewusstsein aufheben. „Mein Herz schlägt wie verrückt, ich habe das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Meine Bewegungen sind unkoordiniert, ständig verschiebt sich mein Gefühl für meinen Körper. Ich bin angespannt und kann mich zwar bewegen, aber es fühlt sich fremd an. Ich schaue in den Spiegel, um die Wirklichkeit vielleicht, hoffentlich wiederzufinden. Ich erkenne mich nicht, weit aufgerissene Augen und merkwürdige Ausdruckslosigkeit.“ So beschreibt Anna K. ihren Trip.

Während die einen das als Aufgehen in ein großes Ganzes erfahren, geraten andere in Panik und Angstzustände und erleben den gefürchteten Horror-Trip. Bei Halluzinogenen ist aufgrund der tiefgehenden psychischen Veränderungen die Gefahr von psychischen Problemen danach besonders groß, speziell die des „Hängenbleibens“, bei der die Wirkung der Droge nicht mehr oder nicht mehr ganz abklingt.

Speed, auch Pep genannt, ist ein illegal gehandeltes Amphetamin. Es ist eine Mixtur aus verschiedenen Wirkstoffen, die oft alles andere als rein sind, was die Droge noch gefährlicher macht. Amphetamine erhöhen das Selbstbewusstsein und die Energie und unterdrücken Hunger, Durst oder Müdigkeit. Bewegt man sich deswegen exzessiv, kann es zum Kreislaufkollaps kommen, in Extremfällen sogar zu Krämpfen bis hin zum Herzinfarkt. Nimmt man Amphetamine über einen langen Zeitraum hinweg konsequent, können sie zu Schlaf- und Kreislaufstörungen sowie Paranoia führen. Jonathan C. hat vier Jahre lang Pep gezogen. Erst seit kurzem schläft er wieder ganze Nächte durch; lange Zeit waren es nur zwei bis vier Stunden am Stück. Als Folge von Pep berichtet er außerdem von enormen Zahnschäden. „Ich bin 23 und habe schon eine Krone – brauche eigentlich bald noch mehr.“

Haschisch zuletzt ist aus den Blütenständen der weiblichen Hanf-Pflanze gewonnenes Harz. Cannabis hat ein weites Wirkungsspektrum. Einerseits kann ein Gefühl von Heiterkeit und Entspannung eintreten; visuelle und akustische Sinneswahrnehmungen werden intensiviert. Andererseits kann es auch Angst, Unsicherheit und Panik- oder Paranoiaattacken hervorrufen. Während die Studien sich heftig darüber streiten, ob Cannabiskonsum langfristig Paranoia hervorrufen kann, ist zumindest sicher, dass es bereits vorhandene Anfälligkeiten verstärkt. Das heißt, wer an sich schon ängstlich, unsicher und misstrauisch ist, geht dabei ein größeres Risiko ein, bleibend von paranoiden Wahnvorstellungen oder Panikattacken heimgesucht zu werden.

Foto: Sandra Gonzalez unter CC BY-NC-SA 2.0

Arzt oder Eigentherapie?

Um mit diesen Paranoia umzugehen, raten Ärzte zu einer Behandlung mit Medikamenten und einer begleitenden Gesprächstherapie. Bei den Medikamenten handelt es sich in der Regel um Neuroleptika und Benzodiazepinen. Beide haben keine heilende Wirkung, sondern stellen nur ruhig. Neuroleptika beruhigen und dämpfen die Sinneswahrnehmung, wodurch die Symptome betäubt werden. Benzodiazepine sind Beruhigungsmittel, die aber nur für begrenzte Zeit eingenommen werden dürfen, da sie sehr schnell abhängig machen können. Durch die Medikamente sollen die Symptome der Paranoia abgeschaltet werden, während die Gesprächstherapie dazu dient, den Betroffenen bei der Heilung zu helfen. Eine Hauptschwierigkeit liegt darin, dass zur Natur von Paranoia der immense Vertrauensverlust gehört. „Ich bin misstrauisch gegenüber meinen engsten Freunden, denen ich zeitweise nicht mehr glaube, vertrauen zu können, weil sie ‚auf der anderen Seite’ stehen, weil sie mir Böses tun wollen. Es sind schwammige Gedanken und Gefühle, gekennzeichnet durch eine latente Bedrohung, ein Ausgeliefertsein.“ Es ist sehr schwer, trotz dieser Gefühle den Mut aufzubringen, einen Arzt aufzusuchen und diesem dann auch noch zu vertrauen.

Jonathan C. ist zu einem Psychiater gegangen, um durch eine Gesprächstherapie besser mit der paranoiden Schizophrenie und der Panik fertig zu werden. Der Psychiater hörte ihm fünf Minuten zu, dann verschrieb er ihm Medikamente. Jonathan C. versuchte noch zwei Mal, ein Gespräch zu erreichen, doch jedes Mal wurde er mit Rezepten abgespeist: Trimipramin zum Einschlafen und zur Beruhigung, Lorazepam gegen plötzliche Angst oder Panik, und Risperidon. „Risperidon ist super Zeug, cuttet alle Spitzen ab, du hast keine Angst mehr, keine Depressionen. Aber du bist auch nie wieder glücklich, hast so wenig Libido, dass dein Schwanz nicht mehr steht und bist so leistungsgehemmt, dass du kein Buch, nicht mal Harry Potter lesen und behalten kannst.“ Bei Trimipramin handelt es sich um eine Art Antidepressivum, Lorazepam ist ein Benzodiazepin, Risperidon zählt zu den Neuroleptika. Dies sind die empfohlenen Medikamente; durch die Gesprächsverweigerung fehlte aber jegliche psychische Hilfe, wodurch keinerlei Heilungsprozess in Gang gesetzt wurde. Jonathan C. wurde einfach ruhig gestellt.

Schließlich setzte er sowohl ‚Therapie’ als auch Medikamente eigenhändig ab, auch wenn das kein erstrebenswerter Weg ist. Leider gibt es schlechte Psychiater, aber eine gute Therapie kann wieder ein Leben ohne Angst ermöglichen. Da Jonathan C. in einer ländlichen Gegend wohnt, gab es allerdings keinen anderen Arzt in ausreichender Nähe, um doch noch eine Gesprächstherapie zu bekommen. Er wolle sich wieder wie ein Mensch fühlen, das sei ihm die schlaflosen Nächte wert. Wenn die Angstzustände zu schlimm werden, nimmt er Haschisch, auch wenn er sich bewusst ist, dass er damit Feuer mit Feuer bekämpft. Die Panikattacken werden seltener, die letzte ist schon ein Jahr her. Er hofft, dass das so bleibt. Auch Anna K. versucht, ohne Therapie mit ihren Problemen fertig zu werden. „Ich bin gezwungen, über mich nachzudenken, die Ursachen herauszufinden, wieso ich so in Panik gerate, manchmal solche Angst vor den Menschen um mich herum habe. Und ich habe gelernt, mich nicht gefangen nehmen, nicht von Angst und Wahn kontrollieren zu lassen.“

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