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Die Geister, die ich rief

Wissenschaftliches Schreiben sorgt bei Studierenden oft für Probleme: Ghostwriter können da helfen. Über die Gratwanderung zwischen rechtlichen Grauzonen und Abgründen des eigenen Gewissens.

© Foto: Isabel Prößdorf

Von Isabel Prößdorf

Wer studiert, muss Prüfungen schreiben. Regelmäßige Anwesenheit sowie konstruktive Beiträge in den Seminaren sind meist nicht ausschlaggebend: Nur bestandene Abschlussarbeiten sind relevant für die nötigen ECTS-Punkte. Das erzeugt Druck. Während in Klausuren die Kurve der Anspannung am Tag der Prüfung in kürzester Zeit auf ein Extrem ansteigt und danach rapide abfällt, sitzen Angst und Zweifel bei Hausarbeiten über Wochen wie tonnenschwere Gewichte im Nacken der Studierenden. Nicht alle können sich aus dieser Situation selbst befreien und greifen zu Mitteln, die nicht selten in einer juristischen Grauzone angesiedelt sind.

Daniel Braun heißt eigentlich anders und hat für seine Bachelorarbeit eines dieser Mittel gewählt: Ghostwriting. „Ich habe es mir selbst nicht zugetraut, in der vorgegebenen Zeit eine Arbeit von einem derartigen Umfang zu schreiben. Mein Studium wollte ich aber auf jeden Fall mit Abschluss beenden“, erklärt der 26-Jährige. Wie viele andere Studierende hat er neben seinem Studium gearbeitet und hatte nicht jeden Tag Zeit, in der Bibliothek zu sitzen. Im Internet stieß er auf eine Agentur und nahm Kontakt auf. „Man ruft einfach an und bekommt direkt alle Fragen beantwortet. Mit dem Ghostwriter selbst tritt man ausschließlich über einen Chat auf der Homepage der Firma in Kontakt“, erzählt Daniel.

Legal, illegal, scheißegal?

Dass es tatsächlich so leicht ist, zeigt das Ergebnis einer Google-Suche. Die Agentur ACAD write wirbt zum Beispiel mit dem Spruch „Ghostwriting schafft Freiraum“ und bietet die Möglichkeit, von der Seminararbeit bis hin zur Doktorarbeit alles schreiben zu lassen. Auch die Agentur Dr. Franke Akademische Ghostwriter hat ein ähnliches Spektrum. Auf ihrer Startseite nimmt sie potenziellen Kunden auch gleich das schlechte Gewissen: „Ghostwriting gibt es vermutlich schon seit der Antike, vielleicht sogar schon so lange, wie es das geschriebene Wort gibt.“

Ist es also legal, die Arbeit, die man an der Universität einreichen muss, von einer anderen Person schreiben zu lassen? Nein. Es ist nicht erlaubt, das Ergebnis des Ghostwriters unter dem eigenen Namen beim Dozierenden oder Prüfungsamt einzureichen. Darauf weisen auch die Agenturen hin, stellen jedoch in den Fokus, dass die Arbeit der Ghostwriter ein „hochwertiger und wissenschaftlicher Entwurf“ sei, der von den Studierenden genutzt werden könne, um ihre eigenen Arbeiten schneller zu schreiben. So entsteht die Grauzone, in der sich die Agenturen und ihre Kundschaft bewegen.

Was ein Studium wirklich wert ist

Daniel hat es nicht ganz so gemacht: „Als ich die fertige Arbeit gelesen habe, habe ich festgestellt, dass die Ergebnisse nicht zu dem passen, was ich mit meinem Professor besprochen hatte. Also habe ich diesen Teil umgearbeitet und selbst geschrieben. Den Rest habe ich so gelassen.“ Daher hatte Daniel nach der Abgabe lange die Befürchtung, aufzufliegen. „Der von mir verfasste Teil hat sich sprachlich doch sehr von den anderen Kapiteln unterschieden, sodass ich nicht sicher war, ob ich damit durchkomme. Am Ende hat es geklappt und ich hatte mit 1,7 bestanden“, verrät er. Mittlerweile hat sich die Angst gelegt und Daniel fühlt sich sicher. Erzählt hat er davon nur engen Freunden und die haben mit Verständnis reagiert: „Einige haben mir auch gesagt, dass sie glauben, ich hätte das leicht selbst schaffen können, aber ich war zu dem Zeitpunkt einfach nicht davon überzeugt und hatte Angst, das Studium nicht zu bestehen.“

Seine Bachelorarbeit hat ihn mehr gekostet als die 1.400 Euro, die er der Agentur zahlen musste. „Irgendwie hat die ganze Situation in meinen Augen den Wert meines Abschlusses verringert. Gerade im Vergleich mit anderen Studierenden, die an derselben Uni waren, empfinde ich mein Studium nun als geringwertiger“, fasst Daniel zusammen. Es war das erste und einzige Mal, dass er Ghostwriting genutzt hat: „Eine eigene Arbeit wäre mir lieber gewesen, aber zu dem Zeitpunkt ging es für mich nicht anders. Wer kann, sollte die Arbeit selbst schreiben. Das ist sicher ein besseres Gefühl und man riskiert schließlich, sein gesamtes bisheriges Studium in den Sand zu setzen. Immerhin: Die Agenturen sind sehr professionell und im Nachhinein glaube ich, dass selten jemand auffliegt.“

Symbolbild

Das Urteil

Wie andere Studierende das Thema Ghostwriting sehen, lässt sich nicht repräsentativ abbilden. Kaum jemand möchte sich öffentlich äußern. Die drei folgenden Studierenden aber haben eine Meinung und den Mut, diese zu teilen. Niklas Platzer (Geschichte) hat bisher nur selbstgeschriebene Arbeiten abgegeben: „Es ist spannend, dass in solchen Agenturen Menschen sitzen, die über eine derartige Schreibkompetenz verfügen, dass sie regelmäßig Seminare oder sogar Doktorarbeiten bestehen. Gerade in den Geisteswissenschaften, finde ich, verlieren Studierende, die auf solche Methoden zurückgreifen, irgendwie ihre Studienberechtigung, denn hier gehört das Schreiben von Arbeiten zu den Kernkompetenzen.“

Auch Anne Pechtold (Lehramt) hat stets alles selbst verfasst: „Bisher hatte ich immer genug Zeit und schöne Themen, sodass mir das noch nie in den Sinn kam. Allgemein hätte ich zu viel Angst. Ich verstehe aber, dass es Menschen gibt, die derart unter Druck stehen, dass sie keinen anderen Ausweg sehen.“

Florian Stark erkennt in Seminararbeiten zudem mehr als nur eine lästige Prüfungsform: „Ich denke, dass man sich auch durch schwierige Veranstaltungen und Prüfungen durchschlagen muss, daran wächst man und deshalb studieren wir.“ Damit trifft der 23-Jährige einen wichtigen Punkt: Studierende wollen lernen und eine gute Ausbildung, doch es ist nicht für jeden möglich, allen Anforderungen gerecht zu werden. Und dann gibt es viele Möglichkeiten: Rechtzeitig zur Studienberatung gehen, das Studium abbrechen oder eben auch die Geister um Hilfe bitten.

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