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Dagegen, um dagegen zu sein

Ein Kommentar

Wieso Protest um seiner selbst willen nicht so schlimm ist, wie wir meinen. Und warum wir uns trotzdem so davor fürchten.

„Kein Vorwurf kann treffen“ heißt es in einem Lied, das nach der Bildungsstreik-Demonstration am 17.11. im besetzten Audimax der LMU abgespielt wird. Nun, mancher vielleicht doch: das allgegenwärtige „ihr protestiert doch nur um des Protestierens willen“. Ob die Kritik zutrifft, darum soll es hier nicht gehen. Aber selbst wenn: wäre das so schlimm?

Mit einer Aussage der aktuellen Audimax-Besetzung können sich auch viele identifizieren, die den inhaltlichen Forderungen kritisch gegenüber stehen: Wenn es darauf ankommt, sind wir da. Ganz grundlegend demokratische Methoden funktionieren auch bei uns. Gestreikt wird nicht nur in Frankreich, Universitätsbesetzungen gibt es nicht nur in Berlin.

Die Besetzung des Audimax ist auch ein Ausprobieren, Leben und Diskutieren basisdemokratischer Organisationsformen. Wie kann ein Plenum mit über 300 Teilnehmern auf transparente, demokratische und ja, auch effiziente Weise eine Entscheidung treffen? Wie informiert man Kommilitonen, die nicht am Plenum teilgenommen haben? Erfahrungen, die hier gesammelt werden, sind kaum zu überschätzende politische Bildung, sind ein Wert des Streiks unabhängig von inhaltlichen Ergebnissen.

Auch neue und idealistische Konzeptionen können in diesem Rahmen erprobt werden – oder altbewährte, die sonst viel zu selten zur Anwendung kommen. Auf wie vielen Großveranstaltungen gibt es sonst schon eine „Rednerinnen- und Rednerliste“ mit Quotenregelung. Man mag dazu stehen wie man will. Zumindest einmal gesehen zu haben, dass es funktioniert, wird keinem schaden.

Wieso also schrecken wir so vor dem Demonstrieren um des Demonstrierens willen zurück? Zur Antwort führt vielleicht eine andere Frage: Wo kommt eigentlich die enorme Energie her, die Menschen dazu antreibt, Tage und Nächte lang in einem besetzten Hörsaal zu bleiben und viele andere Bedürfnisse dafür zurück zu stellen? Nun, vermutlich nicht allein aus der kühlen Überlegung, ob beispielsweise Studiengebühren die ordnungspolitisch beste Option sind. Genau wie alle andere menschliche Motivation nicht nur aus einer abstrakten Überlegung stammt. Diese Energie kann ein Gefühl von Fremdheit erzeugen, kann auch als bedrohlich empfunden werden. Tatsächlich muss sie angemessen verarbeitet werden und dazu gehört die Auseinandersetzung mit Inhalten. Es ist aber nicht jeder Protest schon deshalb verwerflich, weil er auch, oder zumindest zu Beginn, um seiner selbst willen geschieht. Als öffentliche Artikulation von zunächst privatem Unmut hat er seine Berechtigung.

Das alles befreit nicht von der Verpflichtung zu einer gewissen Ernsthaftigkeit. Und in der Tat wollen die Besetzer des Audimax davon auch gar nicht entbunden werden. Denn genau mit diesem Anspruch an sich selbst haben sie den Protest begonnen. Versäumnisse in diesem Punkt darf man ansprechen. Raum für Kreativität muss aber bleiben, dafür, dass manche Position erst gefunden wird, dass sich unter konkrete Forderungen auch diffusere Bedenken mischen.

Dem Protest um seiner selbst willen steht manchmal eine Kritik gegenüber, die Protest als solchen ablehnt: Weil er Protest ist und damit manch gewohnte Grenze überschreitet.

Protest kann einen Wert an sich haben. Und er disqualifiziert sich zumindest nicht automatisch, wenn er auch um seiner selbst willen stattfindet.

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