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La traviata an der Bayerischen Staatsoper

Die Münchner Staatsoper ist ausverkauft, wie fast immer, wenn La traviata gespielt wird. Denn die Liebe zwischen dem bürgerlichen Alfredo und der schwind-süchtigen Prostituierten Violetta gehört zu den beliebtesten Opernstoffen der Welt. Den beiden Liebenden ist nur ein kurzes Glück vergönnt, bevor der Vater Alfredos sie voneinander trennt. So muss Violetta allein und verarmt ihrem Tod entgegentreten. Erst kurz vor ihrem Ende erscheinen Vater und Sohn, um um Verzeihung zu bitten.

Diese tragische Geschichte läuft im Nationaltheater seit 1993 in der gleiche Inszenierung; einst geschaffen vom Regisseur Günter Krämer, ist sie heute in der Staatsoper zu einem Klassiker avanciert. Doch wie kommt es, dass sich genau diese Inszenierung so zäh auf dem Spielplan hält? Hat sie etwas, was andere nicht haben?

Gefühl statt Realismus

Zunächst einmal präsentiert sich diese „traviata“ zeitlich ungebunden, da sie, wie es Verdi auch beabsichtigte, geschichtliche Genauigkeit der Gefühlswelt der Figuren unterordnet. Bühne und Kostüme erlangen eine rein symbolische Bedeutung, fern ab von historischer Authentizität.

Im ersten Akt, als Alfredo Violetta seine Liebe gesteht, ist die Bühne durch eine Wand mit Türen unterteilt. Diese Türen öffnen und schließen sich je nach Gemütslage Violettas: Ist sie kurz davor, sich Alfredo hinzugeben, öffnet sich die Tür (zu ihrem Herzen), besinnt sie sich jedoch auf ihr freies und lasterhaftes Leben, knallt sie wieder zu. Ähnlich bildhafter Sprache bedient sich der Regisseur im zweiten Bild: Alfredo sitzt auf der Schaukel eines verlassenen Spielplatzes, überall auf dem Boden sind leuchtend bunte Herbstblätter verteilt, alles ist in magisches gelbes Licht getaucht. Die Situation der Liebenden ist in diesem einen Bild synthetisiert: die Schönheit und Verspieltheit frischer Liebe, der gleichzeitige Verfall und der drohende Winter, der ihnen Tod und Trauer bringen wird. Dazu das träumerische Licht, das ein baldiges Erwachen unausweichlich erscheinen lässt. Hierzu passen auch die Kostüme, die im Jugendstil der Jahrhundertwende gehalten sind. Auch sie versinnbildlichen einerseits die Schönheit, andererseits das dekadente Ende einer Ära.

Dichte Symbolik liefert auch die Szene, in der Violetta von dem erbosten Alfredo vor der gesamten Gesellschaft gedemütigt wird. Eine graue Wand schiebt sich zwischen sie und die Versammlung, die gesellschaftliche Ausgrenzung Violettas ist damit sichtbar gemacht; sie stirbt einen ersten Tod. Konsequent bleibt diese Wand auch im letzten Bild bestehen und trennt Violetta im Moment ihres tatsächlichen Todes von ihrem geliebten Alfredo. Sie stirbt einsam, trotz Anwesenheit ihrer Lieben.

Dichte Bilder – wenig Spiel

Angesichts dieser durchkomponierten Bildsprache bleibt den Sängern schauspielerisch nicht mehr viel zu tun. Zugegebenermaßen ist es schwer, gegen eine solch gewaltige metaphorische Gefühlswelt anzuspielen. Trotzdem gelingt es Anja Harteros, die in dieser Spielzeit die Partie der Violetta übernimmt, durchwegs, der Pariser Kurtisane Leben einzuhauchen. Ihr Spiel ist authentisch und ergreifend; stimmlich gehört sie wohl zu den besten Sängerinnen unserer Zeit, virtuos steigt sie in die Höhe und gefühlvoll drängt sie ihre Stimme ins Piano. Auf diesem Niveau kann der solide Tenor Eric Cutler, der Alfredo singt, nicht mithalten. Zwar brilliert er an einigen Stellen durch technische Raffinesse, es gelingt ihm jedoch nicht, Alfredo Tiefgang zu verleihen. Auch schauspielerisch kann er seiner Gesangspartnerin nicht das Wasser reichen und steht etwas hölzern neben der emotionalen Violetta herum. Wirklich enttäuschend ist die Darbietung Andrzej Dobbers, Giorgio Germont-Interpret für diese Spielzeit, dem man durch sein verkrampftes Spiel den autoritären Vater nicht recht abnehmen will. Auch die dumpfe Klangfarbe seiner Stimme und das manchmal fehlende Rhythmusgefühl lassen Alfredos Vater eher matt erscheinen.

Getragen wird die gesamte Inszenierung jedoch von ihrer Symbolik, nicht von der schauspielerischen Leistung der Akteure. Das erlaubt einen ständigen Wechsel der Besetzung, ohne dass das Haus je ein Fiasko zu befürchten hätte.

Und hier, so scheint es, liegt des Pudels Kern: Die Universalität, die durch die Konzentration auf die Gefühlswelt der Figuren erreicht wird, und die Unabhängigkeit von individuellen schauspielerischen Leistungen machen eine stetige Wiederaufnahme der Inszenierung möglich. Und schon entsteht ein Klassiker.

Kommende Aufführungen: So, 24.10.2010, 18.00 Uhr und Mi, 27.10.2010, 19.00 Uhr.

(Bild: Wilfried Hoesl)

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