Unileben

Hilfe für sozial Schwache

Der Schrei
Foto: Martin Höppl

Ein Rückblick auf die Studentenproteste in Wien

Daniel Koslowski war aktiv an den Studentenprotesten in Wien beteiligt und hat ehrenamtlich als Sanitäter die Studenten im besetzten Audimax betreut. In Philtrat 10 erzählt Daniel, wie die Wiener Studierenden Unterstützung für Obdachlose organisierten. Hier geht es außerdem um geplatzte Hoffnungen, neue Lieben und den Glauben, dass die Bewegung jederzeit wieder aufleben kann.

Daniel, du warst sehr aktiv bei den Uniprotesten und hast die Studenten im Audimax als Sanitäter betreut. Hattet ihr denn so viele Verletzte?

Die plötzliche Euphorie über die Besetzung des Audimax lockte mehr und mehr Studenten an und damit Dramatik. Um sie zu versorgen, haben wir eine AG Erste Hilfe gegründet, auch um uniformierten Autoritäten keinen Grund zu geben, das Audimax zu betreten. Anfangs waren viele junge gesunde Studenten da, denen nie etwas passierte, außer dass sich die Köche der Volxküche, die uns kostenlos versorgten, manchmal in den Finger schnitten. Doch als es kälter wurde, kamen mehr und mehr Bedürftige und Obdachlose. Damit hatte keiner gerechnet. Einmal hatten wir sogar 25 schwer alkoholisierte Personen, die im Audimax übernachteten und tief bewusstlos waren. Also einigten wir uns auf ein Alkoholverbot, aber damit waren nicht alle Probleme gelöst. Obwohl wir die sozialen Organisationen in Wien um Hilfe baten, konnten sie nichts tun, da sie selbst absolut überlastet waren. Ein paar Sozialarbeiter und Studenten für Soziale Arbeit der FH kamen aber in ihrer Freizeit, um uns zu beraten und zu unterstützen. So arbeiteten wir uns von Problem zu Problem und lernten immer mehr dazu, über unsere Gesellschaft, deren Verlierer und natürlich auch viel über uns selbst.

Ist es euch zusammen gelungen, den Obdachlosen helfen?

Im Endeffekt haben wir es geschafft, wir haben zum Beispiel für einen Obdachlosen eine Hüftoperation organisiert, die er seit zehn Jahren brauchte. Wir haben in Verbindung mit der Organisation Vinzibett etwa 20 bis 30 Zelte und Schlafsäcke (bis minus 24 Grad) organisiert und unter den Bedürftigen austeilen können.

Was ist mit den Obdachlosen passiert, als die Besetzung aufgelöst wurde?

Das Audimax wurde drei Tage vor Weihnachten von der Polizei geräumt und rund 70 Obdachlose damit aus einer warmen Schlafgelegenheit vertrieben. Im Dezember sank die Temperatur in Wien nachts häufig auf minus 10 bis minus 15 Grad. Jeder, der da auf der Straße schläft und dabei noch trinkt, gefährdet massiv sein Leben. Wir haben es zum Glück geschafft, einen Großteil der Obdachlosen in Auffangstationen weiterzuvermitteln, aber leider nicht alle.

Was war das Dramatischste, das ihr erlebt habt?

Das kann man nicht sagen. Es war alltäglich Dramatik zu spüren. Für mich persönlich war, neben den häufigen Erste-Hilfe-Fällen (Krampfanfälle, Alkoholvergiftungen, Unterzucker etc.), ein Fall besonders dramatisch: Ein Slowake war mit einer Platzwunde am Kopf zu uns gekommen. Da er keinen Pass und keine Versicherung hatte, gingen wir zum Krankenhaus der Barmherzigen Brüder. Der leitende Chirurg weigerte sich, den Mann zu nähen. Da ich mich in dem Moment vor Fassungslosigkeit nicht mehr beherrschen konnte, verließ ich den Behandlungsraum! Im Allgemeinen Krankenhaus lachten die Ärzte uns sogar aus, als wir um kostenlose Hilfe baten – und das nach stundenlangem Warten. Nach diesem Erlebnis ging ich zwei Tage nicht mehr ins Audimax. Für mich war die Enttäuschung, dass in der Stadt mit der anscheinend höchsten Lebensqualität der Welt so etwas möglich ist, das Dramatischste von allem.

Mit euren Protesten und Demonstrationen habt ihr in Europa ein richtiges Zündfeuer gestartet. Eine Universität nach der anderen hat sich mit euch solidarisiert und die eigenen Hörsäle besetzt. Hattet ihr mit so einem Effekt und solcher Unterstützung gerechnet? Hat diese Solidarität euch auch Kraft gegeben, die Besetzung fortzuführen?

Ersteres eher Nein. Es gab erst Proteste in der Akademie der Bildenden Künste, und zunächst waren es 50 bis 100 Studenten, die das Audimax besetzten. Damals hat keiner gedacht, wie weit das reichen würde. Natürlich motiviert es, wenn man merkt: man ist nicht allein. Und unsere Kritik am Bologna-Prozess stößt auch außerhalb Österreichs auf große Zustimmung. Das gibt Kraft, weiterzumachen und an Dinge zu glauben, die vor einer Stunde noch unmöglich erschienen. Wir vernetzten uns sofort und errichteten Liveschaltungen in andere besetzte Hörsäle. Auch in Wien wuchs die Bewegung noch. Die TU und andere Hörsäle wurden besetzt. Rückblickend haben die Ausbreitung und die vielen prominenten Unterstützer uns die Kraft und den Rückenwind gegeben, so lange durchzuhalten. Zudem wuchs durch die Ausbreitung das mediale Interesse, was sehr geholfen hat!

Gibt es eine schöne Geschichte oder Anekdote von den Studentenprotesten, die du uns erzählen kannst?

Es gab einige Liebespaare, die sich im Audimax kennen gelernt haben und es wurden Tausende von Freundschaften geschlossen! Am schönsten fand ich die Musikauftritte von Josef Hader, Konstantin Wecker, Florian Scheuba und anderen tollen Bands. Vor allem die friedliche Stimmung war super. Nicht einmal rechtsextreme Burschenschaftler, die kamen, um zu provozieren, schafften es, die friedliche Grundstimmung zu zerstören. Sie wurden freundlich hinausgebeten oder wir diskutierten mit unermesslichem Durchhaltevermögen und Geduld mit ihnen, bis sie müde wurden und von selbst wieder gingen!

Ihr hattet euch zum Ziel gesetzt, die Einführung von Studiengebühren zu verhindern und das Bachelor-Master-System zu reformieren. Würdest du sagen, ihr habt euer Ziel erreicht?

Ich denke, allein einen europaweiten bildungspolitischen Diskurs gestartet zu haben, ist schon als Erfolg zu werten. Die Reformierung des Bachelor-Master-System wurde zwar von der Politik nicht verwirklicht, aber viele Institute haben intern ihre Studienpläne überarbeitet. Außerdem ist der damalig Wissenschaftsminister Johannes Hahn während der Proteste zum EU Kommissar berufen worden, was einem Eingeständnis seiner Inkompetenz gleich kam. Davor hat er uns noch 34 Millionen Euro Sofort-Hilfe zur Verfügung gestellt. Das würde ich aber nicht als Erfolg werten, weil unsere Forderung eine Milliarde jährlich mehr für Bildung und Forschung war. Hierbei hat uns übrigens etwa der Wiener Oberbürgermeister Michael Häupl unterstützt.

Gegen ein Vorhaben der Wiener Regierung habt ihr besonders demonstriert: Die Einführung von Zugangsbeschränkungen für überlaufende Studiengänge.

Die gibt es immer noch nicht und Studiengebühren übrigens auch nicht. Der Bologna-Gegengipfel, der auch größtenteils von der Bewegung organisiert wurde, hat klar gemacht, dass nach zehn Jahren Bologna-Prozess eben nicht Friede, Freude, Eierkuchen ist, sondern viele junge Menschen aus ganz Europa sich kritisch damit auseinandersetzen und auch bereit sind, für ihre Position zu kämpfen. Mann muss sich eben hohe Ziele stecken, damit sich überhaupt etwas ändert.

Und ist jetzt, fast sieben Monte später, noch etwas von dem Protest- und Reformwillen zu spüren? Oder ist alles wieder wie beim Alten?

Bis vor Kurzem hatten wir noch einen Raum am Unicampus besetzt, bis die Universität ihn uns wegnahm. In Österreich ist die Debatte geblieben. Es hat sich mehr in kleinere Gesprächskreise zurückgezogen. Aber die Bewegung lebt weiter, woher kommen sonst die 29.000 Fans auf Facebook? Es ist immer noch ein präsentes Thema und ich denke, das Feuer kann jederzeit wieder auflodern, wenn sich nichts ändert.

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