Unileben

Fundraising als Ferienjob – Ein Erfahrungsbericht

Vielleicht geht es dir ja auch so wie mir vor sechs Jahren: Du bist auf der Suche nach einem Ferienjob, um die Zeit nach dem Abitur beziehungsweise in den Semesterferien zu füllen. Deshalb möchtest du etwas machen, wofür man nicht allzu lang eingelernt werden muss und womit man in kurzer Zeit gut Geld verdienen kann.

So bin ich auf die Idee gekommen nach dem Abitur für einige Monate als Dialoger*in für Hilfsorganisationen zu arbeiten. In diesem Artikel geht es um meine persönlichen Erfahrungen mit dem Fundraising-Job und insbesondere darum, welche Herausforderungen er mit sich bringt.

©Gerald Jatzek/Wikimedia_Commons

Von Pauline Claßen

Face-to-Face Fundraising

Jede*r von uns kennt sie und wurde mindestens einmal schon von ihnen angesprochen: Die fröhlichen Menschen, die bei Wind und Wetter unter Pavillons mit dem Logo von Hilfsorganisationen in gut besuchten Fußgängerzonen stehen. Schon von Weitem winken dir diese entgegen und möchten dich mit lustigen Sprüchen zum Gespräch einladen: „Na, heute schon was für die Menschenrechte getan?“ Sie nennen sich Dialoger*innen und haben stets ein klares Ziel vor Augen: Passant*innen zu überzeugen, regelmäßig für die jeweilige Organisation, die sie vertreten, zu spenden. Doch arbeiten sie meist nicht direkt für die Hilfsorganisationen, sondern für Unternehmen, die von diesen mit dem Fundraising beauftragt werden. Bekannte Namen sind in diesem Bereich insbesondere DialogDirect und die Amnesty Service Gesellschaft. Während letztere eine 100%ige Tochter von Amnesty International Deutschland ist und nur dafür Fundraising betreibt, führt DialogDirect im Auftrag unterschiedlicher Hilfsorganisationen wie beispielsweise Care, die UNO-Flüchtlingshilfe oder den WWF sogenannte Infostand-Kampagnen – ein schöneres Wort für Fundraising – durch.

Generell lässt sich sagen, dass Fundraising tatsächlich wichtig für Hilfsorganisationen – insbesondere für Nichtregierungsorganisationen wie Amnesty International – ist, da sie finanziell auf private Spenden angewiesen sind. So weit, so gut. Das Problem ist an dieser Stelle viel weniger das „Warum“ als das „Wie“. Denn beim „Wie“ hakt es an vielen Stellen, was den Dialoger*innen-Job zu einem Knochenjob macht, der sowohl physisch als auch psychisch nicht nur fordernd, sondern oft überfordernd ist.

Ich habe nach dem Abitur für einige Monate als Dialogerin für die Amnesty Service Gesellschaft gearbeitet, worauf sich mein Erfahrungsbericht an dieser Stelle auch bezieht. Jedoch arbeiten andere Unternehmen wie DialogDirect mit ähnlichen Methoden unter teils noch anstrengenderen Arbeitsbedingungen.

Der Leitfaden

Der Dialoger*innen-Job begann für mich nach meiner erfolgreichen Bewerbung mit einer eintägigen Schulung. Meinen zukünftigen Kolleg*innen und mir wurde zuerst einmal mit einigen Zahlen und Fakten Amnesty International vorgestellt. Danach ging es darum, mit dem vorher schon auswendig gelernten Leitfaden das „Dialogen“ zu üben.

Diesen Leitfaden konnte jede*r von uns in- und auswendig. Er bildet die Grundlage für jedes Gespräch, das man als Dialoger*in auf der Straße führt. Beginnen tut ein Gespräch stets mit lustigen Ansprachen wie

„Hallo der Herr/die Dame mit dem netten Lächeln, einmal kurz gestoppt!”

Außerdem weist der Leitfaden die Dialoger*innen auf verschiedene Verhaltensregeln hin: So soll man unter anderem immer offen, höflich und charmant auf die Passant*innen zugehen und diese immer nur von vorne ansprechen.

Auf die Ansprache folgen Informationen über Amnesty International und einige Argumente, warum es notwendig ist, eine Hilfsorganisation wie Amnesty finanziell zu unterstützen. Danach geht es ans Eingemachte: Man versucht die Person zu überzeugen, selbst zu spenden. Es wird betont, dass Amnesty keine Gelder von Staaten und Konzernen annimmt und umso mehr auf die Hilfe von Privatpersonen angewiesen ist. Besonders wichtig ist der abschließende Powersatz:

„So lieber….. alles worum ich Sie/Dich jetzt bitte ist, uns eine kleine Startchance zu geben. Dass wir es von heute auf morgen nicht schaffen werden, alle Menschenrechtsverletzungen der Welt zu beenden, ist klar. Aber mit Ihrer/Deiner Hilfe können wir einen großen Schritt in die richtige Richtung gehen. Und da kann ich Sie/Dich doch sicher auch dazu schreiben, oder?”

Am Leitfaden selbst sind viele Punkte problematisch. Vor allem, dass erst im allerletzten Abschnitt darauf hingewiesen wird, dass es hier um eine Mitgliedschaft geht, also eine regelmäßige Förderung, keine einmalige Spende. Der Mindestbeitrag liegt bei 5€ im Monat, also 60€ im Jahr. Andererseits baut die geschickte Argumentationskette immensen Druck auf die Passant*in auf. Das kann dazu führen, dass Menschen, die das vielleicht gar nicht wollen, sich überreden lassen, zu spenden. Problematisch ist auch, dass den Dialoger*innen für jede Spendenabsage wie „Ich habe jetzt keine Zeit“, „Ich muss nochmal drüber nachdenken“, „Ich unterschreibe nicht auf der Straße“ oder „Ich weiß nicht wie ich mir das leisten kann“ Argumente beigebracht werden, die Person doch noch zu überzeugen. Beispielsweise auf die “Kein Geld-Aussage” antwortet man:

„Hey, ich verstehe dich total, nicht jede*r kann viel spenden. Aber ganz ehrlich: 5€ im Monat hat doch jede*r zur Verfügung. Ich bin auch Student*in und trotzdem ist es mir einfach total wichtig, mich für die Menschenrechte einzusetzen. Deshalb verzichte ich auf ein bis zwei Kaffees im Monat und kann so die 5€ Mindestbeitrag ganz leicht aufbringen. Dir ist das doch bestimmt genauso wichtig wie mir, oder?”

Eine solche Überzeugungsarbeit macht nicht nur dem Gegenüber ein schlechtes Gewissen, sondern auch einem selbst.

© 7C0, https://www.flickr.com/photos/7c0/52223794163/

Ein Arbeitstag als Dialoger*in

Nachdem ich die Schulung gemeistert hatte, begann meine Zeit als Dialogerin. Ein typischer Arbeitstag in der Amnesty-Städtekampagne sah dann so aus: Jeden Morgen haben wir uns als Team im Büro getroffen und erstmal entspannt zusammen gefrühstückt. Teambuilding, für gute Laune sorgen. Um 10 Uhr morgens, wenn die Läden in den Fußgängerzonen aufmachen, ging es los: Infostand vorbereiten, Pavillon einpacken und ab in die Innenstadt. Stundenlang rumlaufen und Leute ansprechen – immer mit Lächeln, Winken und lustigen Sprüche. Stets war man in einem Team von zwei bis vier Personen unterwegs, oft hatte man auch eine*n „Teamer*in“ dabei – ein*e erfahrene Dialoger*in, die einem zur Seite steht, aber vor allem auch darauf achtet, dass ordentlich gearbeitet wird und viele Passant*innen zum Spenden überzeugt werden. In Dialoger*in-Sprech heißt das: „jemanden schreiben“. Ein schlechter Tag bedeutet in diesem Job, dass man eine Person oder niemanden schreibt. An einem mittelmäßigen Tag schreibt man zwei bis drei Menschen und gute Tage hat man, wenn man über die Vier-Leute-Marke hinausschießt. Mein Maximum, das ich in meiner Zeit als Dialogerin erreicht habe, waren sechs Personen an einem Tag zu einer Mitgliedschaft zu überzeugen. Ansonsten hing ich meistens zwischen der zwei und vier Personen-Marke, was so ziemlich dem Mittelmaß entsprochen hat.

Die Arbeitsmoral wird von den Teamer*innen dabei nach dem „Zuckerbrot und Peitsche“-Prinzip aufrechterhalten. Zum einen wird stets an den Teamgeist in der Gruppe appelliert und neben dem Grundgehalt mit Prämien geworben. 2017 bekam man bei der Amnesty Service Gesellschaft jedoch erst eine Prämie, wenn man mehr als sechs Personen pro Tag geschrieben hat – ein ziemlich unrealistisches Ziel. Während meiner vier Monate, die ich dort gearbeitet habe, hat nur eine Person diese Marke geknackt. Zum anderen wird auch schnell gewarnt: „Wenn du nicht mindestens ein oder zwei Personen schreibst, riskierst du, gefeuert zu werden.“ Tatsächlich geht dieser Prozess relativ schnell. Nach ein bis maximal zwei schlechten Wochen, wird man gekündigt.

Nachdem man also dutzende Menschen angesprochen und an mittelmäßigen Tagen zwei bis vier Personen zu einer Mitgliedschaft überzeugt hat, packt man Infostand und Pavillon wieder ein und fährt um circa 18 Uhr zurück ins Büro. Oft trinkt man noch ein Bier zusammen. Der/die Teamer*in ist auch da. Teambuilding, für gute Laune sorgen und Motivation für den nächsten Tag aufbauen. Feierabend.

Ein Fazit

Abschließend lässt sich sagen: Der Job ist hart, für wenig Geld. Zwar wirbt die Amnesty Service Gesellschaft mit einem „fairen Fixum von 96€/Tag“, doch ist das auf acht Stunden Arbeitszeit gerechnet einfach nur der Mindestlohn von 12€ pro Stunde. Laut Webseite von DialogDirect bekäme man wohl nur 84€ pro Tag, was noch nicht einmal dem Mindestlohn entspricht.

Für ein kleines Gehalt muss man allerdings ganz schön was leisten. Acht Stunden am Tag läuft man durch die Innenstadt und muss viele, viele Menschen ansprechen. Dabei trifft man nicht nur auf nette Menschen, sondern muss sich auch viele unfreundliche bis wütende Sprüche anhören. Dabei selbst gut gelaunt, höflich und motiviert zu bleiben ist sehr schwierig – das ist aber das A&O, um erfolgreich Fundraising zu betreiben. Genervt überzeugt man niemanden zum Spenden.

Nach meinen vier Monaten als Dialoger*in habe ich trotz der zahlreichen Nachteile vor allem positiv auf die Zeit zurückgeblickt. Denn oft durfte ich mit tollen, motivierten Menschen in einem Team arbeiten. Außerdem bin ich durch das ständige Ansprechen von Passant*innen offener und selbstbewusster geworden. Vor allem habe ich aber gelernt, mich selbst nicht immer so ernst zu nehmen und aktiv meine Komfortzone zu verlassen.

Daher finde ich: Fundraising als Ferienjob ist eine Erfahrung für sich. Dennoch ein kleiner Tipp am Rande: Beim Kellnern kriegt man zwar auch nur Mindestlohn, aber zumindest noch Trinkgeld.

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