Stadtplan Unileben

Das Ende der Ära Frank

Montag morgens, Ecke Ludwig- und Schellingstraße. Wieder beginnt ein neues Semester. Wie ich ihn liebe, diesen ersten Tag der neuen Zeit. Man blickt in freudige, erwartungsvolle, gestresste und planlose Gesichter; oft fällt es nicht schwer, die Erstsemestler aus der Masse herauszupicken. Welche Seminare belegst du? Was für Vorlesungen? (Für die oberen Semester auch nur im Singular.) Stell dir vor, der Weidenfeld ist immer noch nicht emeritiert! Kannst du den oder den Prof für die Magisterarbeit empfehlen? Um eins am Schweinchenbau! Die üblichen Gesprächsfetzen eben. Ich muss grinsen. Als ich über die Ampel laufe, ein Blick auf die Uhr. Es ist zehn. Mein Seminar beginnt erst c.t. – also noch Zeit, um ein bisschen zu stöbern. Ich wende mich nach rechts, zielgerichtet auf die Buchhandlung Heinrich Frank zu. Erstes Stutzen: Warum steht der Aufsteller mit den Postkarten nicht vor der Tür? Naja, der Regen. Allmählich drängt sich mir ein Gedanke auf – von der Insolvenz hat man ja gehört. Aber tatsächlich geschlossen? Ich will es nicht glauben. Und stehe vor der Tür, auf der das Schild bestätigt: „Wegen Geschäftsaufgabe geschlossen.“ Weiter unten: „Wir bedanken uns bei unseren Kunden.“ Eine Traurigkeit macht sich breit.

Der Aushang der Buchhandlung Heinrich Frank. (Ⓒ Felix J. Fuchs)

Zwei Sätze für das Ende einer Existenz. Eigentlich sogar das Ende einer ganzen „Ära Frank“. Seit 1879 gibt (gab) es die Buchhandlung, der Münchner Merkur spricht von dem Verschwinden einer „Institution“. Der Blick in die Presse zeigt, dass meine Ahnungen stimmen: So hatte der Inhaber Martin von Rudloff – für mich der immer freundliche, kompetente Buchhändler von nebenan – wohl schon im Juli wegen „drohender Zahlungsunfähigkeit“ einen „Insolvenzantrag“ gestellt. Was für Formeln die Bürokratie doch findet, um ein Berufsleben, ein Lebenswerk zu beenden. Dass man einen Antrag stellen muss, um pleite zu gehen, finde ich zynisch. Hauptsache amtlich.

Die Gründe für die Insolvenz liegen scheinbar auf der Hand: Schier unerschöpflich ist das Bücherangebot im Internet, längst haben e-Books, e-Zeitschriften, e-wasweißich das manifeste Buch überrollt oder zumindest eingeholt und viele Einzelhändler ausbluten lassen. Selbst das, was man tatsächlich Schwarz auf Weiß in Materie zum Blättern und Lesen braucht, lässt sich viel schneller, bequemer und zudem oft noch preiswerter online bestellen. Aber dabei müssen wir uns zähneknirschend an der eigenen Nase fassen: Denn welcher Student kann es sich schon leisten, jeden benötigten Text gleich in der gebundenen Version zu kaufen? Trotzdem fange ich jetzt an, zu bereuen: Wer ersetzt mir meinen gewohnten Buchladen, nur zwei Schritte vom Seminarraum entfernt? Die riesige Reclam-Sammlung, die ich erst selbst nach dem Gesuchten durchforstete, um schließlich doch einen der Mitarbeiter um Hilfe zu bitten? Wer die freundliche Beratung, die Abteilung mit französischer Literatur im ersten Stock?

Es nieselt unaufhörlich, die kalte Nässe kriecht mir unter die Kleidung, die Haut. Ich muss weiter. „Wir bedanken uns bei unseren Kunden.“

 

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