Kommentar

Bayern sieht Sterne

Die bayerische Staatsregierung hat soeben das Gendern gesetzlich verboten. Was mein für Gleichberechtigung schlagendes Herz und mein gesunder Menschenverstand dazu sagen.

Von Lupine Brömer

Liebe Leser*innen,

Moment! Fühlt ihr euch von dieser Formulierung angegriffen? Ausgeschlossen? Diskriminiert?

Genau das denkt die bayerische Staatsregierung – und sieht es als Anlass, ein Genderverbot zu erlassen. Die Verwendung von Sonderzeichen im Dienste geschlechtergerechter Sprache ist nun unzulässig. Von dem Gesetz betroffen sind staatliche Einrichtungen, also Verwaltung, Schulen und Hochschulen.

Wer hier den Ausdruck Cancel-Culture bereits selbst allzu oft in den Mund genommen hat, um andere zu diffamieren, cancelt jetzt einfach selber. Die Sprachpolizei schlägt zu – allerdings nicht wie immer behauptet von der linken politischen Seite, sondern von der rechten. Die CSU möchte „die Diskursräume einer liberalen offenen Gesellschaft offenhalten“ – und führt ein Verbot ein. Durch den „moralischen Druck“, der häufig ausgeübt würde, käme es oftmals „faktisch zu einem Zwang“ zum Gendern (Staatskanzleichef Florian Herrmann, CSU). Aus dieser Logik heraus beschließt die CSU nun: Wir sind gegen Zwang – also zwingen wir alle, sich durch das Verbot unseren Vorstellungen anzupassen. Das Motto der Regierung: Zwang durch Zwang verhindern.

Über sogenannte Ideologien

Weiter in der überaus widerspruchsfreien Argumentation: Gendern sei eine „ideologiegetriebene“ Sprache, die eine “stark exkludierende Wirkung” habe.

Welche Überzeugungen, Werte, und Ideen stehen hinter der „Ideologie“ des Genderns?

Inklusion und Gleichberechtigung. Die sprachliche Repräsentation aller Menschen, auch Frauen und nicht-binärer Personen. (Letztere sind beispielsweise bei weiterhin erlaubten Doppelformen wie „Schüler und Schülerinnen“ nicht mitgemeint.)

Was dagegen ist die „Ideologie“ der CSU hinter dem Verbot?

Es kann nur die sprachliche Exklusion der benachteiligten Gruppen sein. Das Gegenteil von Inklusion und Gleichberechtigung.

Wenn man sich zwischen diesen zwei „Ideologien“ entscheiden müsste, bedürfte es keiner langen Überlegung. Um die von der CSU so mutig in den Mund genommenen Begriffe „Zwang“ und „Ideologie“ miteinander zu vereinen: Die Partei zwingt also die Bürger*innen, sich ihrer Ideologie der sprachlichen Exklusion zu beugen. Menschen, die der „Genderideologie“ angehören, wenden hingegen keinen staatlichen Zwang an, um andere Menschen zum Gendern zu bringen.

Was soll Sprache?

Die CSU scheint eine klare Vorstellung davon zu haben, was Sprache soll und was sie nicht soll. Sprache solle nicht unnötig komplex, sondern „klar und verständlich“ sein, so Hermann.

Das bedeutet für die Partei konkret: Die Sprache soll weiterhin Frauen und nicht-binäre Personen ausschließen.

Doch Sprache sollte vor allem eines: nicht diskriminieren. Nicht nur alle mitmeinen, sondern auch mitnennen.

Auch heißt es, man könne die Sprache nicht einfach so durch das Einsetzen eines Sonderzeichens verändern, so die Empfehlungen des Rats der deutschen Rechtschreibung. Man kann die Sprache aber auch nicht verändern, bzw. ihre Veränderung verhindern, indem man staatlich in sie eingreift. Gendern gehört längst zum Sprachgebrauch vieler, in welchen nun zwanghaft eingegriffen wird.

Sprache ist kein starres Konzept. Sprache ist lebendig. Sie lebt vom Wandel. Sie hat sich im Laufe der Geschichte ständig verändert und wird dies auch weiterhin tun. Sie muss sich den Bedürfnissen derjenigen Menschen, die sie sprechen, anpassen. Das ist Teil ihrer Funktion.

Der Psychologe und Kommunikationswissenschaftler Schulz von Thun betont die Wichtigkeit beim Kommunizieren, sich in die Perspektive des anderen hineinzuversetzen und zu verstehen, wie eine Formulierung vom Empfänger wahrgenommen werden könnte. Er hebt die Bedeutung einer achtsamen Sprache hervor, die Respekt und Wertschätzung für den Gesprächspartner zeigt.

Sprache ist nicht nur beschreibend, sondern formt aktiv unsere Wahrnehmung und unser Denken, so der Sprachphilosoph Wittgenstein.

Sprache beeinflusst unsere Denkmuster und kann sowohl für als auch gegen Stereotype arbeiten – sie konstruiert also unsere soziale Realität. Die Verwendung bestimmter Formulierungen kann Machtverhältnisse reproduzieren, hat aber auch das Potential, sie zu verändern.

Wo aber kämen wir hin, wenn der Gedanke von Gleichberechtigung in unserem Weltverständnis einen Platz fände?
Also, her mit dem Genderverbot! Es ist ein verzweifelter Versuch von konservativer Seite, unaufhaltsame Gleichbehandlung aufzuhalten. Das sterbende Patriarchat wehrt sich vielleicht ein letztes Mal, bevor es eingestehen muss, dass es mit seiner Diskriminierung keine Zukunft hat.

Freiheit und Vielfalt

Die politische Theoretikerin Hannah Arendt hat sich viel damit beschäftigt, wie Macht und Zwang eingesetzt werden, um eine Gesellschaft zu kontrollieren.

Sprache ist ein Machtinstrument.

Wer hat das Genderverbot beschlossen? Männer.
Wen diskriminiert es? Frauen und Nicht-binäre Menschen.

Arendt warnte vor dem Missbrauch von Macht und Ideologie zur Unterdrückung von Minderheiten und zur Erzwingung einer uniformen Konformität. Dabei zeigte sie auf, wie der Einsatz von Zwang die individuelle Autonomie und die Vielfalt der Lebensweisen untergräbt.

Arendt betonte die Bedeutung von Freiheit, Pluralismus und politischer Teilhabe für eine gesunde Demokratie.

Denn eine Demokratie lebt von aktiver Bürgerschaft und offenem Austausch von Meinungen, nicht von autoritären Verboten. Das bayerische Gesetz zielt jedoch darauf ab, bestimmte Geschlechteridentitäten und Ausdrucksformen zu unterdrücken und die Vielfalt der menschlichen Erfahrungen zu negieren. Die individuelle Freiheit und Selbstbestimmung der Bürger*innen werden dadurch eingeschränkt

Wer jetzt noch deutlichere Hinweise braucht, wie falsch dieses Verbot ist, der*die werfe doch einfach mal einen Blick darauf, wer sich über das Gesetz freut: Viel Lob erntete der Beschluss von der AfD.  Denn durch „linksgrüne, genderideologische Schreibvorgaben“ würden die Menschen auf ihre geschlechtliche Identität reduziert.

Ich entwirre diese höchst seltsame Aussage einmal für euch: Durch rechtskonservative, diskriminierungsideologische Schreibverbote werden Menschen bestimmter geschlechtlicher Identitäten ausgeschlossen. Mit den eigenen Worten der AfD: Euren „Sprach-Sexismus“ lehne ich ab.

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