Interview

„Wie soll man das spielen?“

Der Schauspieler Stefan Merki über Shakespeare, Ehrgeiz, Vertrauen, die großen Rollen und die Arbeit mit dem Regisseur Andreas Kriegenburg.

 

Es ist 11 Uhr und noch liegt eine morgendliche Ruhe über dem Blauen Haus. Außer der Kaffeemaschine, die ab und zu im Hintergrund schnauft, ist es ganz still. Stefan Merki hat den Vormittag der Kinder wegen gewählt. Da sind sie noch in der Schule. Nach über zehn Jahren im Ensemble der Kammerspiele gehört er mittlerweile zu den bekanntesten Schauspielern des Hauses. Mit ruhiger Stimme plaudert er, nachdenklich in seiner Cappuccino-Tasse rührend, über die Schauspielkunst, die aus seinem Munde wie der normalste Beruf der Welt erscheint.

 

Herr Merki, zunächst eine Frage, die Schauspielern wohl allzu oft gestellt wird: Wie sind Sie zur Schauspielerei gekommen und würden Sie sich heute wieder dafür entscheiden?

Ja, würde ich. Wie ich dazu gekommen bin: Ich wusste lange nicht, was ich machen sollte. Ich habe Abitur gemacht und habe dann mal so rumgejobbt. Ich habe ein halbes Jahr bei einem Gipser gejobbt, wollte dann aber nicht auf dem Bau arbeiten, weil man eben nichts konnte. Man war nur Handlanger. Das hat mich dazu bewogen, noch irgendeine Ausbildung zu machen. Ich bin zuerst auf die Jazzschule in Luzern gegangen. Da war man allerdings nur einmal die Woche und sonst hat man zuhause geübt. Das hat mich aber natürlich auch nicht ausgefüllt. Meine Schwester hat mir dann den Tipp gegeben, dass es in Bern eine Schauspielschule gibt. Das war eine private Schauspielschule, bei der man zahlen musste, damit man mitspielen durfte. Allerdings war das eher ein Theater; die Schule war dem Theater untergeordnet. Da gerade Weihnachtszeit war, habe ich gleich den Nikolaus gespielt und den Zuschauern während der Vorstellung die Schuhe geputzt. So bin ich da reingerutscht. Drei Jahre war ich dort und es hat mir ge…fallen – aber nicht nur gefallen. Ich fand es auch ein wenig anstrengend und schwierig, aber es hat mich eben fasziniert und ich dachte, wenn man das schon macht, könnte man mal versuchen, ob man nicht auch in Deutschland was kriegt und dann habe ich in Berlin noch eine Ausbildung gemacht. Und so bin ich dazu gekommen.

Welches sind Ihre Lieblingsautoren oder Lieblingsrollen?

Dramatiker, die ich gerne spiele, gibt es viele. Außerdem ist es ja so: Wenn man etwas gelesen hat, kann man nicht sagen, ob man es gerne spielt. Manchmal durschaut man es beim ein-, zweimal Lesen noch gar nicht. Das ist dann auch der Unterschied zur Schule, wo man die Texte nur liest. Wenn man sie spielt, dann kommt man einfach ganz anders an die Texte ran und kommt auch dem Autor näher. Shakespeare ist natürlich immer wieder eine Herausforderung. Bei diesen tragisch-komischen Figuren ist das ja teilweise wirklich total bekloppt und man fragt sich: Wie soll man das spielen? Wenn man sich dann aber damit beschäftigt, ist das doch sehr attraktiv zu spielen. Das ist schon erstaunlich.

Shakespeares Der Sturm lief einige Jahre in den Kammerspielen. Sie spielen Trinkulo, „a jesting monkey“ und „dull with a drink“, wie es im Original heißt. Spielt man eine Rolle, nachdem man sie das hundertste Mal auf die Bühne gebracht hat noch genauso wie bei der Premiere?

Man spielt sie sicher nicht genauso, weil man sich verändert und älter wird und sich so ein Stück auch ein bisschen verschiebt. Aber ganz anders wird es nicht sein. Bei der Premiere ist es so, dass man versucht dem hinterherzukommen, was man einstudiert hat. Nach zehn, zwölf Vorstellungen hat man ein Gefühl dafür und versucht an jedem Abend im Zusammenspiel mit dem Gegenüber das Optimale rauszuholen. Deswegen wird das nicht langweilig. Vielleicht wird man dem irgendwann ein wenig überdrüssig, weil man denkt: „Mann, das haben wir jetzt schon so oft gespielt. Muss das jetzt noch sein?“ Aber beim Sturm ist das witziger weise überhaupt nicht so, weil wir den selten spielen und ein paar Schauspieler, die ich total mag, nur noch als Gäste dabei sind. Das ist dann wie ein Klassentreffen und man kann das wieder hochholen, was da war. Das ist immer toll.

Wie sieht es mit der Hierarchie auf der Bühne aus? Stimmet die Interpretationen des Regisseurs und der Schauspieler immer überein?

Welche Hierarchie?

Naja, der Regisseur hat sich ja meist schon Gedanken über die Inszenierung gemacht und will das Stück in einer bestimmten Art und Weise auf die Bühne bringen. Die Schauspieler sehen das aber vielleicht manchmal anders. Wie einigt man sich da?

Na ja, der Regisseur muss immer auch ein bisschen Überzeugungsarbeit leisten. Der Schauspieler hat das Stück ja gelesen, aber es ist oft so, dass man die Stücke anders liest als die Regisseure, weil die natürlich mehr Vorlauf haben. Die Regie hat sich schon mit den Bühnenbildnern und Kostümbildnern auseinandergesetzt. Dann gibt es eine Idee oder mehrere Ideen. Manchmal wissen sie es auch nicht so genau, dann wird das mit den Schauspielern entwickelt. Wenn es ein etwas ausgefalleneres Konzept ist, geht es darum, dass der Regisseur die Schauspieler auf seine Seite bringt. Denn wenn man als Schauspieler dagegen arbeitet, ist es für alle schwer. Es ist nicht mehr so, dass man ein Stück einfach so auf die Bühne bringt. Als Schauspieler braucht man, finde ich, einen Denkansatz von einem Regisseur. Das macht den Regisseur ja auch aus. Insofern ist schon eine Vorgabe vom Regisseur da und das ist eigentlich auch gut so, weil sich die Energie ja auch sammeln muss.

Bei dem Stück Alles nur der Liebe wegen gab es keinen vorgegebenen Text. Hier haben die Schauspieler zusammen mit dem Regisseur Andreas Kriegenburg den Inhalt des Projekts erarbeitet. Wie hat man sich diesen Prozess vorzustellen?

Da wollten wir einen Abend über die Liebe machen und am Anfang wusste man eigentlich noch gar nicht, wie das genau werden soll. Irgendwann hat sich herausgestellt, dass Musik eine Rolle spielen wird und dass wir kleine Geschichten erfinden wollten. Aber bei Andreas Kriegenburg ist es oft so, dass wir gar nicht wissen, wie es gemacht werden soll und er sagt, dass auch er es nicht weiß. Ihm kann man da aber nicht wirklich trauen, weil er einfach schon mehr weiß als er manchmal zugibt; also so kommt es mir zumindest vor. Wir als Ensemble fühlen uns deswegen bei ihm sehr sicher und er sich bei uns auch, weil wir ein gegenseitiges Vertrauen haben. Sonst hätte man diese Arbeit nicht machen können. Auf einer großen Bühne ist so ein Stück, das ein Versuch über die Liebe ist, ja auch teilweise sehr persönlich.

Und es hat jeder das eingebracht, was ihm zu dem Thema eingefallen ist?

Ja, eigentlich schon. Wir haben viel geredet. Die szenischen Ideen kommen bei solchen Arbeiten aber meist von Andreas. Es gibt ein paar von uns, die meisten sind aber von Andreas.

Wenn man als Student Referate hält oder als Laie auf der Bühne steht, kann es schon einmal vorkommen, dass der Adrenalinspiegel in ungeahnte Höhen schnellt und man – wenn es gut ausgeht – von einem Endorphin-Hoch überwältigt wird. Gibt es dieses Gefühl nach so vielen Jahren Bühnenerfahrung noch?

Ja, ja. Das gibt es schon. Das ist vor allem bei Premieren so. Wenn eben wirklich etwas schief gehen kann oder man sich einbildet, dass wirklich etwas schiefgehen kann, ist man schon sehr aufgeregt. Wenn es auf der Bühne um etwas geht, kann man ja auch verlieren. Andererseits sollte man sich nicht zu viele Sorgen machen, denn man hat ja geprobt und wenn es dann tatsächlich schief gelaufen ist, ist man wieder entspannter und dann geht es wieder besser. Man hat allerdings schon Angst, etwas zu vergessen und wenn die Souffleuse helfen muss, ist das schon unangenehm.

Sie hatten ja nun schon etwas Zeit sich mit den verschiedensten Theaterpraktiken auseinanderzusetzen. Was hat sich seit Ihrem Bühnendebut verändert?

Am Anfang hat man, aus sich heraus, Vorstellungen, wie man etwas spielen könnte. Das hat man aber noch nicht wirklich ausprobiert. Ich habe im Laufe der Zeit versucht Ängste abzubauen und offener zu werden, weil ich gemerkt habe, dass diese Vorstellungen manchmal stimmen, aber manchmal auch einfach verkehrt sind – und das auch für einen selbst. Man wundert sich ja manchmal über sich, wenn man eigentlich weiß, wie man es machen müsste, es aber nicht geht. Das ist nicht nur beim Theaterspielen so, nur ist es da so eklatant. Es ist spannend, das immer wieder zu erkennen und das über die Jahre, mit Hilfe vom Regisseur, zu bearbeiten. Wenn man öfter miteinander gearbeitet hat, sehen die Regisseure auch, wo man sich hin traut und wo eben nicht. So gibt es dann je nachdem Rollen, die gut sind um einen Schritt weiterzukommen. Und wenn man Vertrauen hat, tun sich wieder neue Möglichkeiten auf.

Wird man nach einigen Produktionen in eine bestimmte Schublade gesteckt oder kommt man auch einmal in den Genuss etwas gänzlich anderes zu spielen?

Es kann passieren, dass man in einem Theater irgendwann in einer Schublade steckt. Das kann sich ändern, wenn neue Regisseure oder Dramaturgen kommen. Man kann natürlich auch selbst versuchen das anzuschieben, indem man sagt: Ich möchte jetzt diese Rolle spielen und nicht die, die ich sonst immer bekommen würde. Oder man wechselt das Theater und versucht das von Anfang an ein bisschen zu lenken.

Kann es aber auch sein, dass diese „Schubladenrollen“ ganz angenehm zu spielen sind, weil sie einem leichter fallen, wenn sie der eigenen Persönlichkeit möglicherweise sogar ähneln?

Ja, ich denke schon. „Leichter fallen“ ist eben immer so eine Geschichte. Das würde bedeuten, dass man mit links spielt und Sachen, die man mit links spielt, sind relativ schnell langweilig, weil man sich ja nicht unbedingt dauernd wiederholen will. Es gibt auch verschiedenen Arten von Schauspielern: Solche, von denen man das Gefühlt hat, dass sie jedes Mal mit den gleichen Mitteln arbeiten und die über ihre Persönlichkeit jede Rolle anders gestalten können, und solche, die sich gern verändern.; sich äußerlich verändern und auch das Gefühl haben, innerlich eine Veränderung für eine Rolle durchzumachen. Aber ich glaube, dass Schauspieler, die mit ihrer Persönlichkeit umgehen und sich nicht so sehr verändern, auch in jeder Rolle etwas brauchen, das sie neu ergründen können. Sonst wird das ein bisschen zu langweilig. Man will ja auch etwas suchen und finden.

Degeto-Filmproduktionen (ARD Degeto: Deutsche Gesellschaft für Ton und Film; anm. d. Red.): Fluch, Geldsegen, oder keines von beidem?

Naja, Degeto ist ja auch nicht nur Degeto. Es gibt auch da Unterschiede. Das hängt aber vor allem mit den Regisseuren zusammen, wie ich finde. Auch mit den Redakteuren, die kenne ich aber nicht. Dann muss das Drehbuch noch ein bisschen gut sein – im Idealfall. Ein Geldsegen ist es auch. Es ist natürlich toll, dass man sich da noch was dazuverdienen kann.

Dazu ist es weniger anstrengend als das Theater, oder?

Ja, also, wenn man eine große Rolle hat, ist das beim Drehen schon auch sehr anstrengend. Aber so wie ich es betreiben kann, mit zwei, drei Drehtagen, ist das zwar eine zusätzliche Anstrengung zum Theater, aber natürlich auch ein Vergnügen.

Eine der größten Triebkräfte ist wohl tatsächlich der Ehrgeiz, wie Shakespeares Macbeth wunderbar illustriert. Da es an Schauspielstudenten nicht gerade mangelt, kommt man ohne Ehrgeiz auch am Theater nicht weit, oder?

Ja, Ehrgeiz ist eigentlich positiv zu werten.

Wenn er nicht das gesunde Maß übersteigt.

Ja. Wobei, wo erlebt man das denn schon, dass man zu ehrgeizig ist? Ehrgeiz hat wahrscheinlich auch verschiedene Ausprägungen. Wenn man an einer Rolle arbeitet, muss man schon viel davon haben, um sich dann irgendwann darin wohl zu fühlen und sich darin bewegen zu können. Es gibt auch Zeiten, in denen man wahnsinnig ehrgeizig sein muss, damit es vorwärts geht und dann gibt es Zeiten, in denen man das auch einfach mal sausen lassen muss, damit sich wieder irgendwelche Türchen öffnen, die von selbst aufgehen, die man nicht aufzwingen kann. Man muss aber natürlich wirklich an eine Schauspielschule wollen. Es ist aber auch so, dass man dann leicht verkrampft, wenn man vorspricht und zu ehrgeizig ist und wenn man manchmal etwas gar nicht unbedingt machen will, ist man entspannter und lockerer und dann wird man vielleicht sogar eher genommen.

Wie ist das mit der Konkurrenz am Theater selbst? Wie entscheidet sich wer aus dem Ensemble bei einer Neuproduktion dabei ist?

Das wüsste ich auch mal gern.

Man bekommt das als Schauspieler also lediglich mitgeteilt?

Ja. Man kann sich natürlich etwas wünschen, aber ich bin oft schon zu spät, weil schon klar ist, wer die Hauptrolle spielt. Wenn das Stück gemacht wird, weiß man oft schon, wer die großen Rollen spielt. Das ist aber nicht immer so, das verschiebt sich auch. Auch an so einem tollen Haus, wie diesem hier, gibt es Gesetze, die man nicht durchschaut. Hier ist es zumindest so, dass sich das immer mal wieder mischt, dass jeder mal dran ist, und das ist auch das Schöne hier. Bei uns kann jeder große Rollen spielen.

Was geschieht, wenn Ihnen eine Kollegin, mit der Sie auf der Bühne eine innige Beziehung eingehen sollen, schlichtweg unsympathisch ist?

Wenn das passieren würde, wäre das natürlich ein bisschen ungeschickt. Dann müsste man sich ja alles erspielen oder sich überwinden und sich zu überwinden ist ja immer eine anstrengende Geschichte. Wenn das allerdings so ist, muss man irgendwie eine Möglichkeit finden, wie man sich das im Kopf angenehmer gestaltet.

Also die Pflicht zur Neigung machen.

Ja, mir ist das aber ehrlich gesagt noch nie passiert. Ich weiß auch nicht, ob man das machen würde, wenn man weiß, dass sich zwei Leute nicht mögen. Warum sollen die dann ein Liebespaar spielen? Da wird man den Teufel tun. Das wird ja total anstrengend für alle Beteiligten.

Und wie ist das mit der Beziehung unter den Schauspielern allgemein? Man gibt ja beim Spielen auch immer etwas von sich preis.

Also hier ist es so, dass man einfach wahrnimmt, was auf der Bühne passiert und dann hat man eben die Möglichkeit, wenn man sich auf der Bühne näher kommt, zu entscheiden, ob man sich auch privat mal trifft oder nicht. Das kann man machen, braucht man aber nicht. Ob da eine Freundschaft draus wird oder ob man sagt: Das ist hier im Haus und wir können wunderbar miteinander spielen und sonst haben wir aber nicht viel miteinander zu tun. Das ist eine Entscheidungsgeschichte. Bei uns ist es ganz nett, weil wir nach der Vorstellung eigentlich immer noch in der Kantine hocken und reden – gar nicht unbedingt über das Stück oder vielleicht nur drei Sätze.

Haben Sie zuletzt noch einen Tipp für alle, die von den Brettern, die die Welt bedeuten, träumen?

Hm, ein Tipp, das ist ja hart. Naja, man weiß, dass Bewerbungen an Schauspielschulen anstrengend sind, weil man auch abgelehnt wird. Aber es ist schon auch eine tolle Zeit. Man lernt unglaublich viele Leute kennen, die das gleiche wollen, und ideal ist natürlich wirklich, wenn man in eine Schauspielschule reinkommt und man sich da drei oder vier Jahre lang mit Schauspielerei beschäftigen kann. Aber es gibt eben auch wirklich viele, die das machen. Und ich habe ja auch erst mal dafür gezahlt, dass ich Theaterspielen durfte. Da muss jeder seinen Weg finden, manchmal geht’s schneller, manchmal dauert es ein bisschen länger, aber wenn man es unbedingt machen will, soll man es machen.

Allerdings hat auch er einen Taxi-Führerschein gemacht.

 

Das Gespräch führte Sarah Teresa Jakob

 

Kammerspiele Darsteller Stefan Merki (Foto: Sarah Jakob)

Stefan Merki:

Stefan Merki, 1963 in der Schweiz geboren, studierte Schauspiel an der Hochschule der Künste Berlin. Er war am Schillertheater in Berlin engagiert, gastierte an der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin, am Thalia Theater Hamburg sowie am Theater Aachen und ging 1996 ins Ensemble des Deutschen Schauspielhauses nach Hamburg. 2001 wechselte er ins Ensemble der Münchner Kammerspiele. Zur Zeit ist er in einigen Produktionen der Kammerspiele zu sehen, unter anderem in dem Stück Alles nur der Liebe wegen, das von Andreas Kriegenburg herausgebracht wurde. Neben seiner Bühnentätigkeit ist er in Film und Fernsehen, unter anderem als Gerichtsmediziner beim Münchner Tatort, zu sehen.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...