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Ret Marut und der Ziegelbrenner

 

Von einem „fliegenden Verlag“ in der Literaturstadt München Anfang des 20. Jahrhunderts

 

Das Deckblatt des Ziegelbrenners ©Steffen Heinz

Schon drei ganze Jahre war der Erste Weltkrieg im Gange, als am 1. September 1917 die erste Ausgabe der knallroten Zeitschrift mit Titel Der Ziegelbrenner in Druck ging. In unregelmäßigen Abständen sollte bis 1921 noch an dreizehn weiteren Heften, allesamt randvoll von „Kritik an peinlichen Kulturzuständen und an widerlichen Zeitgenossen“, gearbeitet werden. Die Zeitschrift hob sich nicht nur auf Grund der auffälligen Aufmachung von den damals üblichen Publikationen ab, sondern vor allem wegen der von Anbeginn an enthaltenden „heftigste[n] Attacken gegen Militarismus, den Staat, die bürgerliche Presse und die Kirche“. Oskar Maria Graf, der dem Herausgeber Ret Marut während der Münchner Räterepublik einige Male begegnet ist, hat einmal gesagt: „Marut war einer der seltsamsten Erscheinungen jener Zeit. Er brachte noch im Laufe des Krieges das Kunststück fertig, eine höchst provokante Anti-Kriegszeitschrift […] trotz der verschärften Zensur herauszubringen.“ 1919 wurde der Ziegelbrenner im Rahmen der Niederschlagung der Münchner Räterepublik für illegal erklärt. Trotzdem ist er noch zwei Jahre lang erschienen und hat bis zum Schluss die unterschiedlichsten journalistischen, aber auch literarischen Stilformen wild nebeneinandergereiht.

 

Wilde Journalistische Eigeninitiative gegen den Krieg aus dem Herzen Schwabings

 

Zeichnung von Ret Marut/B. Traven ©fewsulchor

Weil Verfasser von „Aufsätze[n] über Politik, Handelspolitik, Volkswirtschaft, Staatsphilosophie, Soziologie; ferner: schöngeistige[r] Beiträge, Buchbesprechungen, Theaterberichte[n] und Randbemerkungen zu Streit- und Tagesfragen“ nicht namentlich, sondern nur unter der Verwendung verschiedener Pseudonyme genannt wurden, haben Literatur- und Geschichtswissenschaftler lange Zeit danach geforscht, welche Köpfe sich hinter der Zeitschrift verbergen. Rolf Recknagel, ein deutscher Literaturwissenschaftler, hat stilistische Auswertungen zwischen dem schriftstellerischen Werk Ret Maruts und den Romanen des Autoren B. Traven vorgenommen und die These aufgestellt, dass es sich hierbei um ein und dieselbe Person handelt. „Nach vergleichenden Analysen, vielfältigen Zeugnissen und Indizien scheint es uns zunächst erwiesen, daß B. Traven mit Ret Marut identisch ist. […] Anfang und Ende der Biografie liegen noch im Dunkel.“ Während im Kaiserreich der Patriotismus mit Propagandaflugblättern geschürt werden sollte, rief der Ziegelbrenner als vollkommen unabhängiges Organ einfach dazu auf, den leidigen Krieg zu beenden und eine vollkommen andere Gestaltung der Gesellschaft anzudenken. Im eigenen Blatt wurde veröffentlicht was gefiel, und auch die regelmäßig erscheinenden Literaturempfehlungen waren mehr öffentlich gemachte Urteile über das, was nach Meinung der Herausgeber gelesen werden sollte, als pure Empfehlungen von Literaturkritikern, wie wir sie heute zum Beispiel aus dem Feuilleton der Süddeutschen Zeitung kennen. „Bücher, die dem Herausgeber, der Schriftleitung oder den Mitarbeitern des ‚Ziegelbrenner‘ wichtig genug erscheinen, um besprochen oder empfohlen zu werden, kauft der Verlag der Zeitschrift an. Deshalb wird die Zusendung von Büchern, sogenannten Rezensionsxemplaren, höflichst verbeten. Waschzettel kommen dahin, wohin sie gehören; aufgenommen werden sie jedenfalls nicht.“ Man wollte einfach nicht mehr. Man wollte nicht mehr im Krieg leben, man wollte nicht mehr in Armut leben und man wollte keine Götter mehr über sich haben während man selbst mit Krankheiten und ganz irdischem Hunger zu kämpfen hatte. Auch wollte man sich nicht verhaften lassen und so wurde den im Selbstverlag erschienenen Heften die Notiz zugefügt: „Besuche sind zu unterlassen. Es ist niemals jemand anzutreffen.Telefon haben wir nicht.“

 

Spiel mit der Anonymität : die Alternativen waren Gefängnis oder gar der sichere Tod.

 

Der Ziegelbrenner als unabhängiges Organ rief einfach dazu auf, den leidigen Krieg zu beenden © Steffen Heinz

Ganz so erfolgreich waren diese Bemühungen nicht. Ein vom Ziegelbrenner veranstalteter Abend mit Lesung in Schwabing wurde von Nationalisten gestört und es kam zu einer heftigen Schlägerei. 1919 wurde der Ziegelbrenner dann für illegal befunden und Ret Marut seitens der Politik zum Staatsfeind erklärt: „Im Namen der bayerischen Regierung, die zehnfach rachgieriger und verfolgungswütiger ist als die preußische Regierung, wurde M. seiner Lebensmittelkarten beraubt. [Man] beraubte M. seines Heims und den Ziegelbrenner-Verlag seiner Räume.“ Ret Marut war bestrebt, sämtliche Angriffe gegen den Ziegelbrenner in seiner Zeitschrift zu vermerken. Und so wurde auch verkündet, dass der Ziegelbrenner „infolgedessen durch eine fliegende Schriftleitung verfaßt und durch einen fliegenden Verlag ausgegeben [wird].“ Außerdem: „Die große Freiheit, der sich ehrliche Menschen im freiesten Staate der Welt zu erfreuen haben, wird uns nötigen, in der nächsten Zeit eine Anzahl von Heften in illegaler Form herauszugeben.“ Es kam den Machern darauf an, politische Inhalte zu verbreiten und so wurde nun auf mehrere Privatwohnungen in München verteilt weiter anonym geschrieben und Material zusammengetragen. Man wollte sich auf gar keinen Fall mundtot machen lassen. Gleichwohl reflektierte man auch über mögliche Konsequenzen, denn Anfang 1919 wurde als eines der wichtigsten Ziele des Ziegelbrenners folgendes genannt : „Wer nicht lügen will, braucht nicht zu lügen. Man kann alles sagen, selbst die Wahrheit, wenn man die Wahrheit über das persönliche Wohlbefinden stellt.“

 

 „Wer nicht lügen will, braucht nicht zu lügen.“

 

Die Herausgeber des Ziegelbrenners erlebten die Kriegswirtschaft während des Ersten Weltkrieges, die Novemberrevolution und das Kriegsende. Darauf folgte die kurze Zeit der Münchner Räterepublik, in der mit Hilfe Ret Maruts der Versuch gestartet wurde, die gesamte Presse im Land unter die Fahne des Sozialismus zu stellen. Doch die sozialistischen Bestrebungen wurden niedergeschlagen. Während gesellschaftliche Umbrüche stattfanden und es zwischen den beiden Weltkriegen für kurze Zeit danach aussah, als würden politische Kräfte zum Zuge kommen, welche der Kriegstreiberei und Ausbeutung der arbeitenden Massen ein Ende bereiten wollten, fand Ret Marut dennoch keine wirkliche politische Heimat. Kurz nach der Ermordung Kurt Eisners im Jahre 1920, welcher: „[…] Freund und vertraut geworden, als in wehen und schweren Geburtsstunden neuer Zeit und neuer Sittlichkeit [er] ihm Mitarbeiter war“, wie es in B. Travens Biographie heißt, und der Niederschlagung der Räterepublik in München, die wohl der Auslöser für den Entschluss gewesen ist, Deutschland endgültig den Rücken zu kehren, schrieb Marut: „Das neue Deutschland! Könnte ich doch nur ein Fremdstämmiger werden, um keine Blutsgemeinschaft mit diesem neuen Deutschland mehr zu besitzen.“ Vielleicht wollte er ja in Anbetracht dessen, was er in anderen Ländern durchmachen musste, auch gar keine „politische Heimat“ finden. Wer sich für die Originaltexte des Ziegelbrenners interessiert kann diese im Faksimile-Druck „Der Ziegelbrenner. Herausgeber: Ret Marut. 1917 – 1921“ erschienen im Klaus Guhl Verlag in der Bibliothek literarischer Neudrucke, 1976, nachlesen. Auch der Internetauftritt der Internationalen B. Traven Gesellschaft, e. V. bietet zahlreiche Informationen zu Werk und Leben des Autors, der noch 1980 von der Londoner Times als eines der „größten literarischen Wunder des Jahrhunderts“ bezeichnet wurde.

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