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„Wie ein Hund auf dem Fahrrad“

Jonathan Franzen liest aus seinem neuen Roman Freiheit

In einwandfreiem Deutsch liest der Autor der Korrekturen aus seinem vierten Roman und beantwortet anschließend Fragen aus den Reihen der SZ-Leser.

Voll bis zum letzten Platz ist die Große Aula des LMU-Hauptgebäudes schon eine halbe Stunde bevor die Kooperationspartner vom Münchner Literaturhaus und der Süddeutschen Zeitung eintreffen und der Präsident der LMU, Prof. Dr. Bernd Huber, das Publikum begrüßt. Wundern kann man sich darüber nicht, angesichts der hohen Töne, mit denen Franzens neuer Roman bereits vor seinem Erscheinen vom deutschen Feuilleton als weiteres Meisterwerk des Autors nach den Korrekturen gelobt wurde. Und tatsächlich scheint er damit an seinen Welterfolg, für den er 2001 den National Book Award erhielt, anknüpfen zu können – das zeigt schon das gekürzte zweite Kapitel, das der Autor innerhalb einer Dreiviertelstunde wiedergibt, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass ein amerikanisches Publikum keine 45 Minuten durchhalten würde.

Franzen, der einige Jahre an der LMU und der FU Berlin studiert hat, begrüßt sein Publikum nicht nur auf deutsch und kokettiert dabei ein wenig mit seinen Schwierigkeiten, sondern hält sich beim Lesen an die deutsche, bei Rowohlt erschienene Fassung, die, wie oft kritisiert wurde, von zwei Übersetzern, Bettina Abarbanell und Eike Schönfeld, angefertigt wurde. Von Franzens Äußerung, mit ihm und der deutschen Sprache sei es wie mit einem „Hund auf dem Fahrrad. Es macht Spaß, es anzusehen, aber…“ ist dabei allerdings wenig zu spüren – souverän hält er die Lesung in der Fremdsprache durch.

Zuvor hatte Prof. Dr. Tobias Döring vom Institut für Amerikanistik eine kurzweilige Einführung in die Thematik des Romans und die Biographie des Autors gegeben, in der er vor allem auf die Fähigkeit „großer“ Autoren einging, in ihren Werken eine alternative, bessere Realität zu schaffen. Er definierte einen Autor als „großen Autor“, „wenn er sich die Freiheit nimmt, eine andere Wirklichkeit zu schaffen und Korrekturen vorzunehmen“, womit er Jonathan Franzen unmissverständlich in diese Riege einordnete. Döring ging auf die ständige Möglichkeit des Betrugs in der Sprache ein, die durch „untreue“ Wörter entstehe – dazu zähle auch das Wort „Freedom“, das am meisten gebrauchte Wort der Bush-Ära; man denke dabei nur an die Operation Enduring Freedom unter anderem in Afghanistan.

Die Fragerunde, die auf die Lesung folgt, schafft es dann doch fast noch, die Veranstaltung zu ruinieren. Weil bei dem erwarteten Zuhörerandrang ein direktes Gespräch mit dem Autor nicht durchführbar ist, gab es im Vorhinein die Möglichkeit, per Email Fragen an die SZ-Redaktion zu schicken, die Franzen nun vorgelesen werden. Hier muss man sich wirklich fragen, ob Dinge wie „Glauben Sie, der Mann, der Ihnen in London die Brille gestohlen hat, wollte sich Ihre Sichtweise als Autor aneignen?“ ernst gemeint sein können, oder nur Wichtigtuerei und falsch verstandenem Humor zu verdanken sind. Bei dieser und anderen Fragen, die von zu viel Interesse an der Privatsphäre des Autors bis zum Versuch reichen, einen pseudophilosophischen Diskurs anzuzetteln, verweigert Franzen mit Recht eine Antwort oder weicht charmant aus, was die Fragerunde schließlich doch noch rettet. Den Brillendiebstahl etwa schildert er ziemlich plastisch: „Eigentlich machte es Spaß, dem Dieb dabei zuzusehen.“

Lediglich die Frage, ob er das Vogelbeobachten oder das Schreiben wählen würde, wenn er sich entscheiden müsste, gefällt Jonathan Franzen so gut, dass er sie ausführlich beantwortet: „Ich liebe die Vögel, aber ich muss schreiben, auch wenn beides nutzlos ist… Kunst ist wertvoll, weil sie nutzlos ist.“

(Bild: Rowohlt Verlag)

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