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„Ich bin aus Demut unerreichbar, nicht aus Stolz“

Eine Lesung mit der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller an der LMU

Mit dem Erscheinen der kleinen, fast unscheinbar wirkenden, schwarz gekleideten Frau im größten Hörsaal der LMU, verstummten augenblicklich alle Gespräche und das restlos ausverkaufte AudiMax lauschte der Schriftstellerin.

Am Donnerstag, den 20. Mai fand wie bereits 2009 in der LMU eine Lesung mit der Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller statt, die von der Universität in Zusammenarbeit mit dem Carl Hanser Verlag und der Stiftung des Literaturhauses veranstaltet wurde. Die Lesung mit dem Titel „Schule des Lebens“ aus der Reihe LMU im Dialog steht im Zusammenhang mit der derzeitigen Ausstellung über Müllers Leben und ihrem literarischem Werk im Deutschen Literaturhaus in München. Mit Ernest Wichner, dem Leiter des Literaturhauses Berlin, führte Müller einen Dialog über wichtige biographische und literarische Stationen ihres Lebens. Dazu las sie kurze Textpassagen aus ihren Werken Niederungen und Atemschaukel.

1953 wurde Herta Müller im deutschsprachigen Nitzkydorf in Rumänien geboren, legte das Studium der deutschen und rumänischen Philologie ab und arbeitete zeitweise als Übersetzerin im kommunistischen Rumänien. 1987 siedelte die Deutsch-Rumänin nach Deutschland über und lebt heute in Berlin.

Am Anfang des Romans Niederungen stand die Erkenntnis: „Ich hatte mich nicht mehr im Griff, musste mich meines Vorhandenseins auf der Welt vergewissern. Ich fing an, mein bisheriges Leben aufzuschreiben.“ Der Tod ihres Vaters und die Einöde, die die Intellektuelle in ihrem rumänischen Bauerndorf umgab, waren letztlich ausschlaggebend für den Beginn des Romans. Niederungen erschien 1984 auch als Debüt Müllers in Deutschland und machte sie hierzulande bekannt. Es handelt von ihrer Heimat, dem kommunistische Rumänien sowie von den Anwerbeversuchen der Securitate, dem damaligen rumänischen Geheimdienst. Im Frühjahr 1983 eröffnete dieser eine Akte über Müller, da, die „(…) tendenziösen Verzerrungen der Realitäten im Land, insbesondere im dörflichen Milieu in diesem Buch“, so ist es in Müllers Akte festgehalten, Anlass dazu boten. Fortan wird Müller permanent überwacht und sogar von Freunden bespitzelt.

Wichner machte Anmerkungen zum biographischen Hintergrund Müllers und zitierte dabei aus den über sie verfassten Akten des rumänischen Geheimdienstes. Die Autorin wirkte währenddessen distanziert, kühl und fast unnahbar.

„Eine im wahrsten Sinne des Wortes Unbeugsame.“

Symptomatisch für den schriftstellerischen Stil der Autorin, der von dem einfachen Bauernmilieu das sie in ihren Kindheitstagen umgeben hat geprägt ist, ist die Beschreibung des rumänischen Arbeitslagers 1947. Müller hat nur aus Erzählungen des befreundeten Schriftstellerkollegen Oskar Pastior und anderen Überlebenden das Geschehen in den rumänischen Arbeitslagern den Romanstoff für Atemschaukel rekonstruiert. Mit leuchtenden Augen berichtet sie noch heute von der konstruktiven Zusammenarbeit mit Pastior. Dieser Roman, für den Müller im Dezember vergangenen Jahres in Oslo mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet worden ist, erzählt vom Schicksal tausender deutschstämmiger Rumänen, die nach Kriegsende von der sowjetischen Besatzungsmacht zur Begleichung der Reparationszahlungen in Arbeitslagern eingesetzt wurden.

Bundespräsident Horst Köhler würdigte die Schriftstellerin bei der Verleihung des Großen Verdienstordens als „Eine im wahrsten Sinne des Wortes Unbeugsame.“ Bezeichnend für diese „Unbeugsame“ ist die Geschichte ihrer Einreise nach Deutschland. Sie bestand darauf, aus politischen Gründen einzureisen und nicht aus Gründen der Familienzusammenführung. „Ich bin aus einem Land weggegangen, weil man mich nicht leben lässt“, gab sie damals zu Protokoll.

Müller schrieb in Niederungen die Geschichte einer getriebenen, verfolgten, gedemütigten Frau nieder, mit deren Leben sie, so wirkt es zumindest, abgeschlossen hat. Heute lebt sie als gefeierte und preisgekrönte Schriftstellerin in Deutschland. Und dennoch kämpft sie nach wie vor dafür, dass der heutige rumänische Geheimdienst die ohnehin schon längst gesäuberten Akten über sie endlich frei gibt.

Müller beendete die Lesung genauso plötzlich, wie sie sie eineinhalb Stunden zuvor begonnen hatte. Fast unangenehm schien ihr dabei der Applaus des Publikums, wobei sich die schüchterne Schriftstellerin gerührt verbeugte. Eine Verabschiedung voller Demut, aber ohne Stolz.

(Foto: Annette Pohnert /Carl Hanser Verlag)

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