Kracht © Frauke Finsterwalder
Kulturphilter

Ein bisschen Kracht

And in short, I was afraid – Was die Lieblingsgedichte des Autors verraten über seine Zeit

 

Kracht
Christian Kracht auf einem seiner seltenen Fotos © Frauke Finsterwalder

Irgendwie passt es, dass Christian Kracht ausgerechnet im Münchner Künstlerhaus liest. Der Historismus-Prunkbau verkörpert geradezu den großbürgerlich-manierierten Schreibstil des 46-jährigen Autors, der letztens mit seinem Roman Imperium für feuilletonistische Papierschlachten gesorgt hat. Um Imperien soll es auch heute Abend wieder gehen – aber, wie wenn Kracht aus den Debatten Konsequenzen gezogen hätte, nicht um äußere, politische, sondern um innere, persönliche.

„The Empire within“ lautet der Titel der Lesung, für die sich Kracht also streng gescheitelt, hochgeschlossen und mit runder Brille vor den rotgoldenen Vorhang des Festsaales setzt. Der Schriftsteller liest heute keine eigenen Texte, sondern präsentiert eine kleine, persönliche, von ihm getroffene Auswahl englischer Lyrik in Originalsprache.

Von Erlösung und Auflösung soll da die Rede sein, von den inneren Sehnsüchten der Menschen. Es zeigt sich jedoch schnell, dass dies eben hauptsächlich die Sehnsüchte sind, die Kracht in seinen eigenen Romanen formuliert. Der kritische Angelpunkt: Der vielleicht mit Bedacht gewählte Titel der Lesung täuscht nur oberflächlich darüber hinweg, dass eine solche Innerlichkeit etwa unpolitisch sei.

Denn wenn Kracht seinen Münchner Auftritt mit einem idealistischen Kriegsgedicht beginnt, und man sich nicht in den wohllautenden, mit sonorer Stimme akzentfrei vorgetragenen Versen vergisst, steht unbeweglich die Frage im Raum: Warum gerade dieses Gedicht?

 

Rupert Brooke: The Soldier

If I should die, think only this of me:

That there’s some corner of a foreign field

That is forever England. […]

 

Ist Kracht tatsächlich ein Fan romantisch-markigen Soldaten-Heroentums? Mit der von der Presse vielbeschworenen „Ironie“ lassen sich Krachts Gedichtvorlieben hier jedenfalls nur schwer abtun.

Er fährt fort mit den englischsprachigen Nationalisten: Siegfried Sassoon’s The Hero, William Butler Yeats’ The Second Coming. Sassoons realistisches Kriegsgedicht steht zwar mit seiner Schilderung der Grausamkeit in deutlichem Gegensatz zu Brookes’ Pathos, aber die Worte bleiben markig. Das mag natürlich der Entstehungszeit des Gedichts geschuldet sein, war wohl aber auch für Krachts Auswahl irgendwie ausschlaggebend.

Schließlich folgt dreimal T. S. Eliot mit The Lovesong of J. Alfred Prufrock, The Waste Land und The Hollow Men. Während Kracht The Waste Land liest, steht er auf, nach dem langen Gedicht muss er sich schnäuzen. Der Text hat ihn derart gefangen genommen, dass der Schriftsteller sein Publikum nun auf Englisch anspricht. Und dessen gar nicht gewahr wird. Alle im Saal sind gerührt. Blöd nur, dass T. S. Eliot immer wieder dem Vorwurf des Antisemitismus ausgesetzt war und immer noch ist. Ein wenig mehr Distanz wäre daher angebracht. Und zwar gerade weil diese Texte so prägend für die Moderne waren. Auch wenn in diesen drei von Kracht ausgewählten Gedichten antisemitische Anspielungen fehlen, bleibt ein leises Unbehagen.

 

T. S. Eliot: The Hollow Men

[…]This is the way the world ends

This is the way the world ends

This is the way the world ends

Not with a bang but a whimper.

 

Von Tod und Pessimismus handeln auch die beiden Gedichte With Rue My Heart is Laden und To an Athlete Dying Young von A. E. Housman. Sogar das Licht stirbt im Gedicht des unter seiner Alkoholsucht leidenden Dylan Thomas: Do not Go Gentle Into That Good Night. Kracht flüstert beinahe, alleine auf der Bühne vor dem rotgoldenen Vorhang, seiner ganz persönlichen „sad height“. Dann, zum Abschluss, Allen Ginsberg’s Things I’ll Not Do. Eine Liste der Dinge, die der Dichter nicht mehr tun wird, eine traurig-naive Kaskade voll unerfüllter Pläne: Es ist das wahrscheinlich letzte Gedicht vor dem Tod des verwitterten Skandaldichters, der sich der „Beat Generation“ eingeschrieben hatte – einer Gruppe experimentierfreudiger Kreativer, die sich als geschlagen, heruntergekommen, eben „beat“, und zugleich als schön, als „beatific“ verstanden und Euphorie und Seligkeit in Drogen und Esoterik suchten.

Christian Kracht mag die düsteren Texte, diejenigen, die bisweilen gefährlich kokettieren mit den leidvollen Abgründen menschlicher Bösartigkeit und Hilflosigkeit. Die Auswahl unterstreicht Krachts eigenes schriftstellerisches Schaffen, scheint daher ehrlich und doch wieder allzu gewählt – es bleibt der bittere Nachgeschmack einer bloßen Attitüde. Der Verdacht, alles sei nur inszeniert. Selbst wenn dem so wäre, hat Kracht doch sein eigenes Inneres offenbart. Er zeigt sich – wie die Autoren der vorgetragenen Gedichte – als ein Kind seiner Zeit. Eines in diesem retro-avantgardistischen Look. Die Menschen, die im Saal sitzen und ihn bewundern, sind nur halb so alt wie er. Sie sind es aber, die hip finden, was Kracht da macht, und dieses sein eigenartig rückwärtsgewandtes Pathos, den „neuen hippen Scheiß“, nach außen tragen. In die Szene, die gerade das städtische Kulturleben mit ihrer Hipness zu überschwemmen scheint: die Hipster. Nihilistisch, geschlagen, aber hoffnungslos romantisch.

Die Lesung macht bewusst: Die Färbung des „inneren Reiches“ eines Menschen, ist das, was in seiner Multiplizierung die Richtung eines äußeren überhaupt erst generiert. Zu viele Krachts sollte es demnach besser nicht geben. Doch die Zeit läuft, und ist da nicht diese Sehnsucht? Auf der Bühne im Künstlerhaus steht nun schon einer davon. Beim Applaus ist er schüchtern, die eckige Verbeugung verwirrt ihm die Frisur.

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