Kulturphilter

Oh wie schön ist Sarajewo

Eine ungewöhnliche Städtereise

Eine Reise nach Sarajewo steht nicht unbedingt auf der To-Do-Liste reisefreudiger Menschen. Sollte sie aber. Denn 17 Jahre nach Ende der dreijährigen Belagerung der Stadt im Bosnienkrieg bietet diese City of Tolerance, wie ihre Einwohner sie stolz nennen, einen Herd des multikulturellen Zusammenlebens, der die Reisenden in seinen Bann zieht und dabei den Geldbeutel schont.

 

Roses of Sarajevo, so werden die mit roter Masse aufgefüllten Krater genannt

In einer Straße im Herzen der Stadt stehen eine Moschee, die katholische Kathedrale und die serbisch-orthodoxe Kirche. Um die Ecke ist die Synagoge zu sehen. So harmonisch wie diese vier Bauwerke zusammenstehen, konnten es Bosniens Bürger lange Zeit nicht. Zwischen 1992 und 1995 erlebte das Land einen blutigen Krieg zwischen den religiösen Gruppen. Bosnische Muslime, kroatische Katholiken und orthodoxe Serben teilen sich ein Land und leben in dieser Stadt zusammen. Drei Jahre lang hielten die Stadtbewohner gemeinsam dem Beschuss durch die Serben stand, die auf den Hügeln, welche Sarajewo umgeben, die Städter im Zielfernrohr hatten. Auf diese Zeit werden die Menschen heute ungern angesprochen. Nach vorne sehen, weiter machen, darum geht es heute. Dennoch verlassen die Gedanken an den Krieg die Reisenden nie gänzlich. Kaum ein Haus ohne Einschusslöcher säumt die Straßen. Die Häuser im österreichisch-ungarischen Stil, die an Wien erinnern und die aus jugoslawischer Zeit stammenden Wohnblöcke sind gleichermaßen vom Beschuss gezeichnet. Die Stellen der größten Massaker in der Stadt werden von den Spuren der Granateneinschlägen markiert und erinnern auf Schritt und Tritt an die Vergangenheit. Roses of Sarajevo, so werden die mit roter Masse aufgefüllten Krater genannt.

 

Eintauchen in den Orient

Bei 100 Moschen hallt die Stadt zu den Gebetszeiten von den Rufen des Muezzins wieder und es klingt wie Musik in den Ohren

Die wenigen Touristen werden mit Begeisterung und überwältigender, bosnischer Gastfreundschaft aufgenommen. In den engen Gassen der orientalisch geprägten Altstadt zeigen die Kaffeehausbesitzer mit Hingabe wie der bosnische Kaffe aus dem Blechkännchen richtig zu trinken ist eine Kunst für sich. Duftendes Burek, Blätterteig gefüllt mit Käse, Spinat, Fleisch oder Kartoffeln, gibt es an jeder Ecke. Das traditionelle Essen trieft vor Fett aber es schmeckt so herrlich, dass die Tour durch die Stadt von regelmäßigen Fresspausen unterbrochen werden muss. Die besten Ćevapčići der Welt gebe es auch in dieser Stadt, so wird den Reisenden berichtet. Jedes zweite Haus scheint eine Cevapcinica zu sein, in der man die Hackfleischröllchen zusammen mit duftendem Fladenbrot und Joghurt isst. Sarajewo ist eine echte Pionierstadt: Der erste Cofféshop, die erste Trambahn, bei so ziemlich allem war Sarajewo ganz vorne dabei – zumindest wenn man dem euphorischen jungen Stadtführer Glauben schenkt, was man aufgrund seiner charmanter Art gerne tut. In den Handwerksgassen schwelgen die Reisenden zwischen den handgeschmiedeten Kaffeekännchen und Zuckerdöschen und träumen sich zurück in die Zeit, als dieser Fleck ein bedeutender Handelsplatz für Waren aus dem Orient und dem Westen war. Auch wenn die Reisenden die Stadt in vollen Zügen genießen, bekommen sie ihr Geld nicht wirklich los. Essen, Trinken und Eintrittspreise sind so günstig, dass die Stadt und alle ihre Winkel ohne schlechtes Gewissen erkundet werden können.

Bei 100 Moschen hallt die Stadt zu den Gebetszeiten von den Rufen des Muezzins wieder und es klingt wie Musik in den Ohren, die die Touristen auf ihren Streifzügen begleitet.

 

Jede offene Straßenkreuzung eine Todeszone

Da die Vergangenheit die Reisenden doch nicht ruhen lässt, zieht es sie zum War Tunnel Museum, dem von Einschusslöchern übersäten alten Haus, in dessen Keller die Lebensader Sarajewos zu Zeiten der Belagerung, beginnt. Ein 700 Meter langer Tunnel, der unter dem Flughafen hindurch in die Stadt führt, diente als Versorgungsweg, der vor den Augen der serbischen Kräfte in den Bergen verborgen lag. Der Tunnel war nur gebückt zu begehen und die Strecke dauerte 40 Minuten. Jeder musste selbst dafür sorgen, dass er sein Essen in die Stadt bekam und der Weg bis zum Tunnelabgang war lebensgefährlich. Jede offene Straßenkreuzung, die zu überqueren war, jedes freie Feld eine potentielle Todeszone. Mit Stolz verweisen die Besitzer auf die Foto-Wand, welche die prominenten Besucher des Museums zeigt: Morgan Freeman, Kevin Spacey, Orlando Bloom. Auch nach vier Tagen in der Stadt können die Touristen nicht aufhören über die zerschossenen Fassaden zu staunen. Ein Spaziergang auf einen der umliegenden Hügel führt durch muslimische Friedhöfe, die mit ihren weißen Grabsteinen mit dem Schnee in der Sonne um die Wette strahlen. Schöne Stadt, traurige Stadt.

 

Die Brücken der Miljacka

Die ausgebrannte Nationalbibliothek trägt ihr Gerüst mit Stolz

Haben sich die Reisenden erst einmal die grundsätzlich ungestreuten, vereisten Wege den Berg hinauf getastet, werden sie mit einem herrliche Blick über die Stadt entlohnt. Die vielen Brücken über den Fluss Miljacka erinnern an Venedig, der Schornstein der Brauerei pufft zufrieden seinen Rauch über die Stadt hinweg, und die ausgebrannte Nationalbibliothek trägt ihr Gerüst mit Stolz. Wer sich im buckligen Gassengewirr nicht verirrt und den Weg in die Stadt hinunter trotz Eisplatten meistert, belohnt sich mit einem Burek und wärmt sich in dem Museum auf, das Erzherzog Franz Ferdinand gewidmet ist, der an einer Straßenecke Sarajewos erschossen worden ist. Der 1.Weltkrieg nahm seinen Ursprung in Sarajewo, das tatsächlich der Nabel der Welt zu sein scheint. So sehr sich die Stadtbewohner freuen, dass die Reisenden ihre wunderschöne Stadt besuchen, wundern sie sich, dass die Deutschen in der kalten Jahreszeit gekommen sind. „Kommt im Sommer wieder, da ist es noch schöner“, sagen sie. Noch schöner? Kaum zu glauben!

 

 

Die Fotos in diesem Artikel wurden aufgenommen von Antonia Lachner.

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