Das Semester hat gerade angefangen und das heißt: Uni, Arbeit, Lernerei. Das kann schnell ziemlich anstrengend werden. Darum haben wir ein paar Buchempfehlungen für euch rausgesucht, in die ihr euch im ganzen Alltagsstress zurückziehen könnt. Denn: Ein Päuschen braucht jeder mal.
Texte von Liesl Winternitz, Husham Fellaih, Pavel Fridrikhs und Amalia Rohrer; Illustration von Annika Stanitzok
Italo Calvino: „Die unsichtbaren Städte“
Was kann man tun, wenn die Sommerferien vorbei sind, das Wetter der Welt nur Nässe und Nebel schenkt, aber die Reiselust immer noch bleibt, oder sogar nur wächst? Ganz eindeutig: gemütlich durch Wörter andere, fantastische Welte entdecken. Nur wenige Bücher sind so gut dafür geeignet wie „Die unsichtbaren Städte“ von Italo Calvino. Durch Calvinos poetische, reichhaltige Prosa berichtet Marco Polo Kublai Khan als Gesandter von vielen Städten, bei denen jede etwas Besonderes ist.
Eine davon schwebt zwischen zwei Bergen. Eine andere steht auf schlanken Stelzen über den Wolken. Noch eine weitere hat unter sich eine Spiegelstadt, wo jeder Moment des Lebens reflektiert wird, egal ob es Liebe oder Mord ist. Doch etwas zurückspiegeln tun alle diese Städte: wie wir als Menschen in Gemeinschaften leben und existieren, wie wir uns verbinden, wie wir über dieses unentdeckte Land denken und fühlen, von dessen Bezirk kein Wanderer wiederkehrt — den Tod. Calvino erkundet, wie alles im Leben seine Kehrseite hat.
„Die unsichtbaren Städte“ ist ein Buch für alle, die neue, filigrane Welten, dichte Prosa und Menschlichkeit lieben. Ein Buch vor allem für diejenigen, die verstehen, was Menschsein bedeutet: Teil eines komplexen Spinnennetzes aus anderen Menschen zu sein, in dem keiner, nicht einmal der Khan, sich aus diesem Netz erheben kann.
„Die unsichtbaren Städte“ von Italo Calvino, übersetzt von Burkhart Kroeber, ist beim FISCHER Verlag als Taschenbuch für 14,00 € und beim Hanser Verlag als gebundene Ausgabe für 20,00 € erhältlich.
Rolf Schilling: „Blüher im Herbst“
Der Titel dieses Gedichtbandes soll nicht darüber hinwegtäuschen, der Herbst jener Gedichte ist ein innerer. Einer der Worte und des Gefühls. Als Lektüre für die kommende Jahreszeit sind die knapp 240 Seiten eine fast schon mystische Erfahrung. Die Worte nehmen Raum ein, sind stellenweise eine schwer zu bewältigende Aufgabe, und stellenweise fließend wie klares Wasser.
Die Vielfalt des Bandes kommt dabei zugute: Unter den vielen Themenfeldern, von der Natur bis zur Mystik, über die Götter hin zu Mythos und Macht. Schillings Gedichte lassen antike Welten zwischen den Zeilen aufleben. Die Gedichte nehmen teilweise den Charakter von Reflexionen an, was den Leser nicht nur zu nachdenklichen, sondern auch erhellenden Einblicken verleitet. Die in diesem Band versammelte Lyrik ist in ihrem Wesen nicht so sehr verschieden von einer langsamen Annäherung an untergegangene sakrale Dimensionen von menschlicher Existenz und Dichtung.
Bei Schilling bewegt sie sich nunmehr in Dichotomien, über den Himmel zur Erde, vom Krieg zur Liebe. Diese Lyrik ist nichts, was sich an einem Tag, einer Woche oder gar an einem Herbst lesen lässt. Sie braucht Zeit, um verstanden, durchdrungen und auch gelebt zu werden. Mehr als einen Herbst brauchen die Worte, um im Herz des Lesers zu blühen.
„Blüher im Herbst“ von Rolf Schilling erscheint im Castrum Verlag Wien. Der Band wurde von Ledio Albani herausgegeben und kostet 25 € – zu erwerben unter Castrum.at.
Alfred Andersch: „Sansibar oder der letzte Grund“
In unseren Köpfen sind Reisen oft ein Genuss, ein Erlebnis, eine lang ersehnte Auszeit vom trockenen Alltag. Doch das ist nur die halbe Geschichte: Reisen können auch erzwungen sein, die Flucht vor Umständen, die uns beklemmen oder sogar das Leben bedrohen. So auch in Alfred Anderschs bedeutendem Nachkriegsroman „Sansibar oder der letzte Grund“. Dabei ist die afrikanische Insel kein greifbarer Ort und erst recht nicht das Sehnsuchtsziel der Figuren.
Die Handlung spielt sich in der abgelegenen und weltfremden Hafenstadt Rerik an der Ostsee ab. Dort laufen sich 1937 zur Zeit des Dritten Reiches fünf Menschen über den Weg – darunter die Jüdin Judith, die sich nach den Nürnberger Rassegesetzen in existenzieller Not befindet, und der kommunistische KPD-Funktionär Gregor, welcher seiner Partei den Rücken kehren möchte. Große Teile der Handlung drehen sich um die beiden, doch auch die übrigen Figuren sind weit davon entfernt, mit ihrer Lebenslage zufrieden zu sein.
Andersch zeichnet die Figuren auf emotional äußerst ergreifende Art und Weise und gibt ihrem Innenleben viel Raum. Es entsteht ein Flickenteppich aus Vergangenheiten, Reue und unterdrückten Träumen, eingebettet in eine verzweifelte Flucht. Auch beim Fischer Knudsen und seinem Schiffsjungen – dem einzigen, der groß von Sansibar zu träumen wagt, nur um des Traumes willen.
Alfred Anderschs Roman „Sansibar oder der letzte Grund“ wird vom Diogenes Verlag herausgegeben und ist neu für 13 € erhältlich.
Deborah Levy: „Heim Schwimmen“
„Heim Schwimmen“ beginnt mit einem grünen, moosigen Pool in einer Ferienvilla in Nizza. Der will eigentlich so gar nicht zu der vornehmen und idyllischen Stimmung eines Urlaubs an der Côte d’Azur passen. Perfekt zu dem Pool aber passt Kitty Finch, die junge Frau, die eines Tages wie eine Nixe im sumpfigen Wasser treibt und mit deren buchstäblichen Auftauchen die Geschichte ihren Anfang nimmt.
Kitty Finchs Nägel sind dunkelgrün lackiert, was mich direkt dazu bringt im Supermarkt nach dem perfekten dunkelgrünen Nagellack zu suchen. Die Beschreibung ihrer Person lädt zur Identifikation ein und ihre besondere Wirkung strahlt nicht nur auf die anderen Figuren, sondern aus dem Buch heraus. Kitty Finch ist ein magisches Wesen, eine Sirene, die sich bei Nacht in einen Schwan im weißen Federponcho verwandelt. Bei ihrer Ankunft hat sie neben Büchern und ein paar luftigen Kleidern außerdem ein selbstgeschriebenes Gedicht im Gepäck, das sie dem bekannten Dichter zeigen möchte, der hier mit Frau und Tochter und einem befreundeten Paar seinen Urlaub verbringt. Nachdem sie behauptet, die Villa ebenfalls gebucht zu haben, darf sie in eines der freien Zimmer einziehen. Sie wird zum Auslöser, der nach und nach all die verdrängten Konflikte an die Oberfläche spült.
„Heim Schwimmen“ ist kein großes Buch, aber es ist ein großes kleines Buch. Ein perfektes Buch zum Versinken, das mit einer gewissen Tragik und genug Spannung überzeugt. Es ist eines von den Büchern, das man eigentlich nicht zu schnell lesen möchte, um jedes filmische Bild auskosten und es sich auf der Zunge zergehen lassen zu können.
Der Roman „Heim Schwimmen“ wurde von Richard Barth aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt und ist beim Kampa Verlag für 22 € als gebundene Ausgabe erhältlich.

