Zeit kosten

Apps können also unser Leben teilweise vereinnahmen. Wie sehr, merken wir spätestens dann, wenn wir jede Minute aufs Neue unser Smartphones zücken und nachschauen, ob ein neuer Jodel abgesetzt wurde, ob wir auf Tinder nicht doch noch fündig werden oder ob eine Nachricht auf Whatsapp eingetroffen ist. Apps ermöglichen uns aber auch mehr Kontrolle über unser Leben. Und wenn es nur die App Anti-Social ist, mit der sich gezielt Anwendungen ausschalten lassen, um endlich produktiv arbeiten zu können. Auf die einfache Idee, das Handy auszuschalten, möchte anscheinend niemand zurückgreifen.

Es gibt aber auch Apps, bei denen die Vereinnahmung und Kontrolle des eigenen Lebens zum Prinzip gehört. Der Nutzer unterwirft sich freiwillig einem kleinen Programm, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wer schlecht schläft, kann sich die App Sleep Cycle holen und geht wortwörtlich mit dem Programm ins Bett. Das Handy muss zum korrekten Funktionieren der App auf der Matratze platziert werden, auf der man schläft. Die App greift auf die Sensoren zurück, die in jedem Smartphone eingebaut sind. So erfasst das Programm, wie sehr man sich im Schlaf bewegt und errechnet daraus die Tiefe und Länge der einzelnen Schlafphasen. Bedenken bezüglich elektromagnetischer Strahlung sollte man dabei außen vor lassen, denn das Handy muss beim Schlafen neben dem eigenen Kopf liegen, um exakte Ergebnisse zu liefern. Dafür kann der Nutzer seinen Tagesablauf detailliert protokollieren. Das Programm gleicht dies mit den Schlafphasen ab und erklärt einem im Idealfall schlussendlich, dass man mit einer Tasse Kaffee weniger am Tag vielleicht besser schliefe.

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Die App „Freelatics“ erstellt eigene Fittnessprofile.

Noch weiter liefert man sich Apps aus, die den Nutzer fitter machen wollen. MyFitnessPal, das beliebte Freeletics oder die Laufapp Endomondo beispielsweise zeichnen gewissenhaft alle Daten um Bewegung oder Ernährung auf, die der Nutzer ihr liefert. Wer sich einige Zeit nicht anmeldet, wird von der App daran erinnert, dass es mal wieder an der Zeit wäre für den nächsten Lauf oder für das nächste Workout. Am lautesten schreit MyFitnessPal. Die App hilft, die eigene Ernährung zu kontrollieren, indem sich Lebensmittel kinderleicht in ein Tagebuch eingetragen lassen, ausgewählt nach einer vorgegeben Liste oder durch Einscannen der Barcodes der Nahrungsmittel. MyFitnessPal beschwert sich dreimal täglich, falls noch keine Angaben zu Frühstück, Mittag- oder Abendessen eingeben wurden. Durch diese kleinen Quälixe in unseren Taschen war es noch nie so einfach, fit zu werden. Aber mit diesen Apps stellt sich auch die Frage: Was passiert eigentlich mit den Daten, die ich in diese App eingebe? Der eine oder andere Versicherer kam schon auf die Idee, Apps zu nutzen, um gewissenhafte Sportler zu belohnen und Bewegungsverweigerer abzustrafen. Droht uns der gläserne Versicherungskunde und damit eine Gesellschaft, in der eine vermeintlich gesündere Lebensweise erzwungen und jedes Feierabendbier verboten wird? Das wäre das Ende einer Vielfalt der Lebensformen und damit einer der Errungenschaften der Moderne.

Zum Glück ist es noch nicht so weit. Aber selbst unscheinbare Apps bergen die Gefahr des Datenmissbrauchs. Die Taschenlampen-App Brightest Flashlight Free machte Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass sie für den Gebrauch der App eigentlich unnütze Daten wie Standortmeldungen an den Hersteller Goldenshores Technologies weiterleitete, die Goldenshores wiederum an Unternehmen aus der Werbewirtschaft weiterverkaufte. Und da sollen wir nicht paranoid werden? Wie bei vielen Formen des Web 2.0 bleibt der Umgang mit den Daten ein Balanceakt für den Nutzer. Wer die digitalen Dienste nutzen möchte, muss sich bewusst sein, dass er etwas von sich preisgibt, um am virtuellen Rummel teilzunehmen. Der Umgang mit unseren Daten sollte aber unbedingt vertraulich sein. Jemand muss die Hersteller der Apps kontrollieren, die uns mehr Kontrolle im Leben ermöglichen.

Was also bleibt nach dieser Übersicht der kleinen grauen Herren in unseren Taschen, die uns Unterhaltung und Kontrolle versprechen, aber dann unsere Zeit stehlen und uns am Ende sogar noch ausspionieren? Vielleicht, dass die großen Geschichten immer noch abseits des Touchscreens passieren. Dass es sich ganz schön bescheuert anfühlt, den Barcode des Feierabendbiers mit MyFitnessPal in ein Ernährungstagebuch einzuscannen. Aber vielleicht auch, dass einige sinnlose Zeit vor dem Smartphone ebenso in Ordnung geht wie ein fauler Tag im Bett, weil nicht jeder Moment durchgetaktet und einen Zweck haben muss. Schließlich kann gerade in solchen Momenten etwas Unerwartetes passieren oder auftauchen, das überhaupt wert wäre, geteilt zu werden.