Liebe, Mord und Female Empowerment: Die kontroverse Netflixserie „You“ kommt nun zum Ende. Am 24.04.2025 startete die finale Staffel.
Von Elisabeth Fuchs; Bild © Lifetime Television
Der Anfang 30-Jährige Joe Goldberg zieht nach einer gescheiterten Beziehung in das hippe New York. Mit seiner Liebe zu alten Büchern und Sehnsucht nach tiefgründiger Liebe mit echter Verbundenheit scheint er in einer Welt von Tinder, Situationships und Social Media etwas aus der Zeit zu fallen. Genau deswegen strahlt er einen anziehenden Charme aus, dem über fünf Staffeln hinweg mehrere Frauen verfallen. Sie werden von Joe in den Mittelpunkt seines Lebens gestellt und fühlen sich von ihm gesehen und geliebt. Grundlage für die Serie bildet die gleichnamige Buchreihe von Caroline Kepnes, die als Drehbuchautorin an der Serie beteiligt war.
Der Wolf im Schafspelz
Was zunächst jedoch nach einem sicheren Hafen in einer schnelllebigen Welt scheint, entpuppt sich als der schlimmste Albtraum, der einer Frau widerfahren kann. 6
Die insgesamt fünf weiblichen „Yous“ des introvertierten und verträumten Bücherrestaurators Joe fallen allesamt seiner manipulativen und beziehungsgestörten Seite zum Opfer. Verliebt er sich, wird er zum Stalker in der realen und digitalen Welt. Oft noch bevor es zum ersten Date kommt, weiß Joe bereits über die intimsten Dinge der Frauen Bescheid. So denkt sich Joe Nähe und Verbundenheit zu seiner Angebeteten herzustellen. Auf diesem abgründigen Weg des Beziehungsaufbaus ist Joes oberstes Ziel, seine Partnerin zu beschützen. Dafür räumt er alles und jeden buchstäblich aus dem Weg, wenn seine Beziehung in Gefahr zu schweben droht. Nicht einmal vor Mord schreckt er zurück. Dabei glaubt er an das Narrativ, über diesen Weg Gerechtigkeit und Glück für sich und seine Geliebte zu erzielen und somit das Richtige zu tun. Als Joe jedoch seine gefährliche Seite vor seinen Partnerinnen aus den ersten drei Staffeln nicht mehr verstecken kann, ist dieses Glück für ihn verloren.
Insgesamt 22 Menschen sterben durch Joe Goldbergs Hand, auch wenn er sich zu Beginn jeder Staffel vornimmt, sich ernsthaft zu ändern. Zum Verhängnis wird ihm bis zur letzten Staffel keiner dieser Morde.
„Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust“
Zurecht kann man an dieser Stelle einwenden, dass in einer männlich dominierten Welt die Geschichte des weißen Antihelden, der vermeintlich Gerechtigkeit anstreben will und immer wieder davonkommt, auserzählt ist. Zurecht begehrt die Öffentlichkeit spätestens seit #MeToo gegen missbräuchliche und toxische heterosexuelle Beziehungen auf, in denen mehrheitlich Frauen die Leittragenden sind. Warum also der Serie eine Plattform geben?
Die Serie spielt mit moralischen und widersprüchlichen Themen, die den (männlichen) Antihelden in den Fokus rücken. In einer Zeit, in der Gewalt gegen Frauen wieder zunimmt, trifft das einen sensiblen Nerv. Zurecht nehmen Geschichten, die die Perspektive von Frauen darstellen, zu. Doch die Serie hat nicht das Ziel, eine Lanze für veraltete, gewalttätige Männerbilder zu brechen. Vielmehr zeigt sie auf eingehende Weise einen hoch ambivalenten Charakter, der aufgrund innerer Monologe aus dem Off sehr zugänglich gemacht wird. Ebenso erfährt man Joes Absichten, die zu den schrecklichen Taten führen. Die Serie selbst nimmt zur Bewertung seines Charakter keine Stellung. Im Fokus steht dabei ganz klar die tiefgründige und romantische Seite von Joe, hinter der ein gefährlicher Abgrund liegt. Auch wenn in psychologischen Analysen Joe eine dissoziative Persönlichkeitsstörung unterstellt wird, ist er sich seiner dunklen Seite bewusst. Auch kämpft er gegen diese Seite selbst an. Somit kann es passieren, dass man als Zuschauer*in Mitgefühl für Joe entwickelt. Denn die Gegenspieler*innen von Joe sind oft selbst alles andere als moralisch vertretbar. Insbesondere seine Geliebte aus den Staffeln zwei und drei gleicht Joe auf erschreckende Art und Weise. Und doch ist es sie, die in Fanrezensionen als die zu Joe passende Frau beschrieben wird. Dabei wirft die Serie zwei der großen moralischen Fragen auf: Ist Böses, das Böses verhindern will, gerechtfertigt? Und wenn ja, wie weit darf das gehen?
Bis zur letzten Staffel lässt die Serie diese Fragen offen. Genug Zeit für das Publikum, selbst eine Antwort darauf zu finden.
Spiegel der Kontroversen
Aus dem Spiel mit der Ambivalenz und der Frage nach Moral ist über die sieben Jahre der Serienlaufzeit ein Spiegel für das Publikum geworden. Darüber, inwieweit die Serie das beabsichtigt hat, lässt sich nur spekulieren. Zutage tritt dieser Spiegel in der Kontroverse, die um die Serie besteht. Auf der einen Seite wird die nahbare und empathische Darstellung des schwierigen Antihelden kritisiert. Auf der anderen Seite gehört sie zu den erfolgreichen Netflixserien, die eine breite Fangemeinschaft vereint. Innerhalb dieser Gemeinschaft tauchen nicht wenige Stimmen auf, die Joe verteidigen bis gar glorifizieren. Diese Begeisterung für Joe liegt nicht zuletzt an der sympathischen und ehrlichen Art des Darstellers Penn Badgley. In Interviews und Podcasts zeigt er seine differenzierte Haltung zu seiner Rolle, von der er sich klar abgrenzt. Dabei verurteilt er Joe jedoch nicht als Menschen, sondern scheint sein psychisches Paradigma zu durchdringen.
Die positiven Rezeptionen von Joe scheinen zunächst konträr zu den feministischen Bewertungen, die wiederholt auf die toxischen Gefahren des dargestellten Beziehungskonzepts aufmerksam machen. Dass diese Gleichzeitigkeit existieren kann, zeigt folgende Aussage aus der letzten Staffel: „Wir [Frauen] brauchen Fantasien von Männern wie dir, um in der Realität mit Männern wie dir umzugehen.”
Faszination als Coping-Mechanismus?
In der Fantasie also Joes Gewalt, Dominanz, Stalking und Besitzanspruch befürworten, um in der Realität mit Ähnlichem klarzukommen? Es ist vorstellbar, dass dies in Einzelfällen zutreffen mag. Und auch das Schlussbild der letzten Folge bleibt lange im Kopf. Nachdem ein Großteil der Morde an die Öffentlichkeit gelangen, erhält Joe einen Fanbrief, in der die Verfasserin Joe darum bittet, ihr diese schlimmen Dinge anzutun. Aus dem Off ertönt daraufhin: „Vielleicht bin nicht ich das Problem, sondern ihr“. Dass Joe im tiefen Inneren trotz jeden Bewusstseins seiner schrecklichen Taten niemals Einsicht in sein verachtenswertes Verhalten haben wird, überrascht nicht. Doch trotzdem scheint der Satz zumindest in Teilen zuzutreffen. Es ist nicht abschließend ausgeschlossen, dass beides parallel möglich sein kann. Eine progressive Strömung in breiten Teilen der Gesellschaft, die sich für das Empowerment von Frauen einsetzt. Und gleichzeitig auch die Fantasien von Frauen nach männlicher Dominanz und Gewalt. Vielleicht tatsächlich, um mit dem Teil der Realität klarzukommen, der sich wieder vermehrt gegen die Gleichberechtigung von Frauen zu stellen scheint.
Ihr könnt derzeit alle Staffeln der Serie „You“ auf Netflix schauen. Sie wurde zwischen 2017 und 2025 produziert und ausgestrahlt.