Diskussionen über pluralistische Gesellschaften und menschliche Vielfalt sind mittlerweile alltäglich geworden. Sie können mit einer einfachen Frage beginnen: Wie unterschiedlich nehmen wir die Welt wahr? Diese zentrale Auseinandersetzung präsentiert die Freie Bühne München in der inklusiven Stückentwicklung „Der gelbe Klang“ unter der Regie von Verena Regensburger.
Von Christopher Bertusch; Bilder: © Markus Burke
„Vielleicht ist mein Gelb gar nicht dein Gelb“, fragt sich Ines Hollinger während hinter ihr immer schneller gelbe Formen auf die Bühne geworfen werden. Da gibt es zum Beispiel RAL 1002 Sandgelb oder das beliebte Sonnengelb. Viel zu viele Farben und viel zu wenig Übereinstimmung, das führt schnell zur Frustration. Doch anstatt in einen solipsistischen Skeptizismus zu fallen, zelebriert „Der gelbe Klang“ gerade diese Unterschiede in unserer Wahrnehmung von Farben, Formen und Musik. In einer Welt, die allzu schnell in schwarz und weiß einteilt, zeigt sich hier der Spaß an der Vielfalt.
Thematisch wichtig ist dafür auch die Besetzung: Das Stück wird mit einem mixed abled Cast inszeniert.
Schwarz auf weiß oder lieber Grautöne?
Es ist ein vertrautes Thema, geht es doch um das Ausbrechen aus einem grauen Alltag und die Suche nach Abwechslung und Aufregung. Zuerst beginnt das Stück schlicht: Eine weiße Leinwand liegt in der Mitte der Bühne, während sich eine grau gekleidete Reisegruppe langsam auf ihre Ecken zubewegt.
Als Inspirationsquelle dient der Neurowissenschaftler und Schriftsteller Oliver Sacks, der sich mit den Funktionen des menschlichen Gehirns und unseren Nerven auseinandersetzte. Für sein Buch „Die Insel der Farbenblinden“ besuchte er das westpazifische Atoll Pingelap, über seine Bewohner*innen sagte er: „Von den achthundert Einwohnern besitzen ein Drittel die Erbanlage für völlige Farbenblindheit, und ein Zehntel sind tatsächlich farbenblind.“ Eine solche Reise in Welten einer anderen Wahrnehmung bestreiten auch die Figuren in „Der gelbe Klang“. Ihre Inseln müssen dabei nicht zwingend so radikal anders sein wie die von Sacks. Stattdessen finden sie diese auch in alltäglichen Momenten, die aus dem Rahmen fallen: So führt beispielsweise das Essen einer Orange unter der Dusche für manche schon zum „Hochgenuss“ (mehr dazu gibt es übrigens auf Reddit).

Das Stück trägt den gleichen Namen wie eine unfertige Bühnenkomposition des expressionistischen Künstlers Wassily Kandinsky. Sein Entwurf verzichtete auf eine äußere Handlung und thematisierte stattdessen Musik, Farbe und Tanz. Dieser Handlungsrahmen fehlt auch in der Inszenierung der Freien Bühne München und an einigen Stellen wird das durchaus spürbar. Was das Stück aber an Handlung einbüßt, gleicht es an Sinnesexplosionen wieder aus. Fließend legen die Figuren ihre Grautöne ab und wandern in sechs Szenen durch Farben, Klänge, Texte und Bewegung.
Sinne und Szenen voller Farbe
In Blau gehüllt genießt Anna Gesa-Raija Lappe den Strand, bevor sie verkündet: „Wir machen heute alle blau“. Mit grünen Bällen verziert kriecht ein Tier über die Bühne, während Dennis Fell-Hernandez über das Grün der Natur staunt. Leon Zedlmayer verkündet stürmisch in Rot seine Gefühle – natürlich über die Liebe.
Dabei gehen, tanzen, fallen ihre Figuren nicht nur vielfältig über die Bühne, sie werden auch musikalisch bunt von Sounddesigner Azhar Syed begleitet: Zwischen Weltraumreisen und purer Rhythmik, die zum Mitmachen anregt, schwebt die musikalische Begleitung – ihr Bass dröhnt auch nach der Aufführung noch im Ohr der Zuschauer*innen.
„Theater sollte stets die Verbindung aller darstellerischen Möglichkeiten sein“, heißt es im Programmheft der Inszenierung. Das gelingt an diesem Premierenabend in den Münchner Kammerspielen.
„Der gelbe Klang“ feierte am 18. und 19. Oktober 2024 Premiere in den Münchner Kammerspielen. Weitere Aufführungstermine und -orte ab dem 01. November sowie Informationen zum Kartenverkauf findet ihr hier.