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„Wie ein Schlag ins Gesicht“ – Psychologie-Studierende in Not

Für Psychologie-Studierende ist die Zukunft ungewiss: Seit fünf Jahren versuchen sie, ihre Weiterbildung finanziert zu bekommen – bisher erfolglos. Wie die Politik Zukunftsängste erzeugt.

Von Idil Zeynep Polat; Bilder: © Stephen Williams

Es ist ein sonniger Samstagnachmittag als sich über 200 Demonstrant*innen auf dem Geschwister-Scholl-Platz versammeln. Die Menschenmenge stellt sich um eine kleine Bühne mitten auf dem Platz. „Psychotherapie in Gefahr“ liest man auf einem großen Banner. Protestiert wird gegen die fehlende Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung. Denn: Für Psychologie-Absolvent*innen, die in den letzten fünf Jahren ihr Studium begonnen haben, stehen kaum Weiterbildungsplätze zur Verfügung. Keine Weiterbildungsplätze bedeutet keine abgeschlossene Ausbildung zu*r Psychotherapeut*in. Die Zukunft der Psychologiestudierenden ist also faktisch blockiert. Schuld ist die Politik.

10 Jahre Ausbildung

Der Weg zur Bescheinigung als Fachpsychotherapeut*in ist lang. Zunächst ist ein guter Bachelorabschluss nötig, mit dem sich Studierende auf die stark begrenzten Master-Plätze in der klinischen Psychologie bewerben. Bereits das ist problematisch, erzählt Luisa, eine Bachelorstudentin der LMU: „Gut genug in der Psychologie ist schwierig, denn selbst Noten, die in anderen Fächern unglaublich gut wären, eine 1,8 zum Beispiel, ist in der Psychologie nicht genug.“ Laut Luisa seien die ersten fünf Jahre der Ausbildung zum Psychotherapeuten  also mit einem hohen Leistungsdruck verbunden.

„Eine Freundin von mir ist vor der S-Bahn zusammengebrochen, weil sie eine 1,7 geschrieben hat und damit einen Durchschnitt von nur 1,4 hat. Dadurch kommt sie nicht mehr in den klinischen Master,“ erzählt auch Anna, eine Masterstudentin im zweiten Semester. Der Druck sei allgemein nicht auszuhalten: „Wir hatten intern im Bachelor eine Wette, dass wir meinten, das wirkliche Ziel sei nicht der Bachelor-Abschluss, sondern dass man am Ende psychisch gesund genug ist, dass man überhaupt den Master machen kann. Wir hatten Wetten, wer auf der einen und wer auf der anderen Seite des Sofas sitzt.“ Auch im Master ließe der Stress nicht nach. Nicht mal mit einer 1,3 könne man zufrieden sein, erzählt Martha, eine Studentin aus Münster.

Nach dem erfolgreichen Master steht die Approbationsprüfung an. Wenn man diese abgelegt hat, ist man zwar Psychotherapeut*in, darf aber höchstens als Heilpraktikant*in arbeiten. Um mit gesetzlichen Krankenkassen abrechnen und in Praxen und Kliniken arbeiten zu können, braucht es die Weiterbildung. Diese umfasst zwei Jahre in der ambulanten, zwei Jahre in der stationären Versorgung. Dazu kommt ein Jahr im institutionellen Bereich – zum Beispiel in der Jugend- oder Suchthilfe. Dann ist man, nach zehn Jahren, endlich praktizierende*r Fachpsychotherapeut*in.

 

Psychotherapeut*innen in Ausbildung

Dieser Weg war bis vor wenigen Jahren etwas kürzer. Vor September 2020 hat die fünfjährige Weiterbildung noch nicht existiert. Stattdessen mussten Absolvent*innen des Psychologie-Masters um Ausbildungsplätze kämpfen. Diese ging drei Jahre, erforderte jedoch, aufgrund der hohen finanziellen Last auf Psychotherapeut*innen in Ausbildung, dringend Reform.

Hannah hat ihr Studium vor der Psychotherapeutengesetzesreform begonnen und macht aktuell ihre Ausbildung. Diese sei mit hohen Gebühren und mangelnder Vergütung verbunden, erklärt sie. „Im ersten Jahr der Ausbildung verdienen wir – wenn es gut läuft – 1000 Euro brutto, davon bleiben dann ungefähr 800 Euro netto übrig. Und das nach einem abgeschlossenen, fünfjährigen Studium. Davon kann man einfach nicht leben. Deswegen haben viele von uns zwei Jobs oder verschulden sich.“

Faire Vergütung – wie?

Durch die Psychotherapeutengesetzesreform soll Psychotherapeut*innen in der Weiterbildung die große monetäre Last abgenommen werden. Sie sollen hauptberuflich arbeiten und sozialversichert sein.

Auf den ersten Blick hört sich die Reform gut an. Das einzige Problem: Woher das Geld dafür kommen soll, ist nicht geregelt. Das Gehalt, das den Psychotherapeut*innen nun gezahlt werden soll, zusammen mit administrativen Aufwänden und Honoraren für Dozierende und Weiterbildungsbefugte – diese Kosten können nur die wenigsten Weiterbildungsstätten tragen. In Bayern gibt es aktuell zwanzig Weiterbildungsplätze für angehende Psychotherapeut*innen. Jährlich schließen deutschlandweit jedoch etwa 2.500 Studierende das Studium der klinischen Psychologie ab.

 

„Zukunftsangst“ antwortet Anna auf die Frage, was das in ihr auslöst. „Ich hatte damals mit 19 in Würzburg angefangen, den alten Psychotherapiestudiengang zu studieren. Weil uns versprochen wurde, wie toll der neue ist, habe ich damals abgebrochen und den neuen angefangen. Damals hätte ich eine sehr, sehr schlechte Ausbildung, die drei Jahre gehen würde. Jetzt habe ich keine. Das ist wirklich wie ein Schlag ins Gesicht.“ In etwas über einem Jahr ist sie mit ihrem Master fertig, wie es danach weitergeht, weiß sie nicht. Als Notfalllösung überlegt sie sich, zusätzlich zum Master an einer Fernuni Wirtschaftspsychologie zu studieren.

Psychotherapeutischer Nachwuchs blockiert

Was passiert, wenn die Finanzierung der Weiterbildung weiterhin nicht geregelt wird? Was passiert, wenn der psychotherapeutische Nachwuchs ausfällt? Jahrelange Wartezeiten und Arbeitsunfähigkeit, sagt Luisa. Bereits jetzt beträgt die Wartezeit für eine Psychotherapie im Schnitt 5,5 Monate. Dazu kommt, dass über 30 Prozent aller Psychotherapeut*innen in Deutschland über 60 sind. Wenn diese in wenigen Jahren in Rente gehen und kein Nachwuchs kommt, leiden Patient*innen, erklärt Martin, ein Bachelorstudent im sechsten Semester: „Das Nichtbehandeln psychischer Störungen bedeutet für die gesamte Gesellschaft hohe Kosten: durch Chronifizierung, durch Arbeitsausfälle und durch Leben, die nicht gerettet werden können.“

Psychische Erkrankungen sind die zweithäufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die dritthäufigste für Krankheitstage. Auch bei der Frühverrentung spielen sie eine große Rolle. Doch psychische Krankheiten machen nicht nur arbeitsunfähig: 2023 war die Anzahl an Selbstmorden um 6,6% gestiegen, verglichen zum Durchschnitt der vorherigen 10 Jahre.

Von der Politik vergessen

In Deutschland leidet etwa jede dritte Person im Laufe ihres Lebens an einer psychischen Erkrankung. Wenn Anna in ihrem Umfeld erzählt, dass sie Psychotherapeutin werden möchte, freuen sich alle: „Oh mein Gott, das ist etwas ganz Wichtiges, etwas was die Gesellschaft braucht.“ Die Regierung scheint jedoch nicht den gleichen Wert auf Psychotherapie zu legen. Fünf Jahre hätte sie Zeit gehabt, sagt Martin in seiner Rede auf der Demonstration. „Wir haben über 15.000 Postkarten, Emails und Briefe an Abgeordnete geschrieben. Zahlreiche gut besuchte Demonstrationen, davon drei direkt vor dem Bundestag, haben wir organisiert. Und Gespräche mit dem Gesundheitsministerium haben wir geführt. Was hat uns das gebracht? Was hat die Regierung getan? Nichts.“

Tatsächlich hatte die Finanzierung der Weiterbildung letztes Jahr im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz einen Platz gefunden. Doch mit dem Bruch der Ampelkoalition wurde das Gesetz in einer gekürzten Form verabschiedet – in dieser kommt die psychotherapeutische Weiterbildung nicht vor. Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung wird die Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung in einem Satz erwähnt. Wann sie umgesetzt werden soll, bleibt unklar.

„Psychotherapie ist eigentlich ein Thema, das jeden etwas angeht. Aber sich einsetzen dafür möchte dann trotzdem niemand. Wir wollen, dass man das, was man uns versprochen hat, jetzt auch durchzieht. Das bedeutet, dass man gesetzlich festlegt, wer das finanziert, damit sich auch jemand verantwortlich fühlt,“ sagt Anna am Ende des Gesprächs. „Ohne Finanzierung gibt es keine Therapie.“

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