Der erste abendfüllende Spielfilm Pedro Almodóvars in englischer Sprache ist ein Plädoyer für Sterbehilfe und Selbstbestimmung, exquisit besetzt mit Tilda Swinton und Julianne Moore in den Hauptrollen – ein Werk der edlen Einfalt und stillen Größe sowie Gewinner des Goldenen Löwen in Venedig.
Von Johannes F. Schiller; Bilder: © Warner Bros.
Pedro Almodóvar galt schon lange als Synonym für das spanische Kino. Von seinen Anfängen mit schrillen Komödien und originellen Genre-Arbeiten der 1980er-Jahre bis zu seinen starken Heldinnen, den chicas Almodóvar. Sein Kino verkörperte auch den kulturellen Umbruch Spaniens nach der Franco-Diktatur, eine Öffnung hin zu neuen Erzählformen und sexuell freizügigen Stoffen. Heute, mit 75, ist er eines der verbliebenen Aushängeschilder des europäischen Autorenkinos seiner Generation.
Almodóvars letztes großes Statement findet sich jüngst in dem virtuosen, autobiografischen „Leid und Herrlichkeit“ (2019), worin Antonio Banderas einen Filmemacher spielt, der über Kunst, Leben und Lieben sinniert. Nach zwei Kurzfilmen in englischer Sprache, dem queeren Western „Strange Way of Life“ (2023) und der Jean-Cocteau-Adaption „The Human Voice“ (2020), wagt der Spanier nun seinen ersten abendfüllenden Spielfilm auf Englisch: „The Room Next Door“ basiert auf dem Roman „What Are You Going Through” der amerikanischen Autorin Sigrid Nunez.
Der Wert des schönen Todes
New York City, eine Schlange von Menschen bildet sich für eine Signierstunde bei Bestseller-Autorin Ingrid (Julianne Moore). Über eine Bekannte erfährt Ingrid zufällig vom Krebsleiden ihrer alten Freundin, der Kriegsreporterin Martha (Tilda Swinton). Sogleich macht sie sich auf, die Todgeweihte im Krankenhaus zu besuchen. Obwohl sie sich schon lange nicht mehr gesehen haben, blüht zwischen den beiden erneut eine innige Freundschaft auf.
Sie führen tiefe Gespräche, die nicht selten um das Tabuthema Tod kreisen – welchen Eindruck hinterlassen wir von uns auf der Welt? Wie können wir würdevoll sterben? Inwieweit sollte Selbstbestimmung auch für den Tod gelten? Martha möchte ihre Chemotherapie nicht weiter fortsetzen und hat beschlossen, sich in ein gemietetes Haus in Neuengland zurückzuziehen, um den Freitod zu begehen. Sie bittet Ingrid, ihr dort beizustehen. Diese jedoch hat ein eher angespanntes Verhältnis zum Sterben und dem Tod.
Obwohl in New York angesiedelt, wurde der Film hauptsächlich in Madrid gedreht. Das tut der Illusion allerdings keinen Abbruch; die wenigen in New York gefilmten Stadtansichten fügen sich nahtlos in die künstliche, von Almodóvar erdachte Welt ein. Ein blaues Sofa, eine grüne Küche, ein roter Pulli. Primärfarben und Komplementär-Kontraste sind präzise im Bildraum abgestimmt – schon ist der Transfer in die Staaten vollbracht, ohne Kompromisse eingehen zu müssen. Moore und Swinton bewegen sich inmitten von Designobjekten und bourgeoisem Wohnkomfort – Kaum jemand hinterfragt ernsthaft in einem Almodóvar-Film ‚ökonomisches Kapital‘ oder führt das Klassenprivileg an, ein Unding für den postmodernen Ästheten – obgleich es gerade im Falle der Sterbehilfe ein nicht unerheblicher Bezugspunkt wäre: Wer kann sich schon so einen schönen Tod leisten? Das Pop-Ambiente ist betont artifiziell, kunstvoller Hintergrund für das eigentliche Spektakel, die gedämpften Emotionen, die sich vor ihm ereignen.
Melodram erhabener Affekte
Der Film sucht die Aussöhnung, die Menschlichkeit in allen Dingen. Ausbrüche aus dem statischen Muster gibt es nicht, weswegen „The Room Next Door“ in seiner durchkomponierten Kunstfertigkeit etwas einengend und unnahbar wirken mag. Für einen kurzen Moment weitet sich die Perspektive, wodurch sich auch Verzweiflung und Ohnmacht breit machen: Im Gespräch mit Ingrid meint ihr Ex-Freund (John Turturro), die Klimakrise in Verbindung mit dem Erstarken der extremen Rechten lasse ihn alle Hoffnung verlieren. Obwohl er sich in diesem Seitenhieb besonders klug und weitsichtig präsentiert, schafft der Film nicht den Sprung über seinen belehrenden Gestus hinaus. Politische Untertöne drängen sich auf, werden kurz angerissen, bleiben aber Randnotizen eines größeren Bildes.
Für die Zukunft schwarzzusehen ist eine ebenso nachvollziehbare Reaktion wie der Optimismus, den Ingrid zunehmend vertritt, wenn sie sich liebevoll ihrer Freundin widmet. Nur, um in „the room next door“ zu sein, nebenan, die Anwesenheit des Anderen zu spüren, sich auszutauschen. Das reicht manchmal aus, um nicht vollends im eigenen Leiden, in der Einsamkeit zu versinken.
Die melancholischen Melodiebögen von Alberto Iglesias erinnern zuweilen an Alfred Hitchcocks Stamm-Komponisten Bernard Herrmann. Und auch sonst dürfen Zitate nicht fehlen: Bekenntnisse zu diversen Einflüssen, die eine Art persönliche, cinephile Gebrauchsanleitung ergeben und ihn zugleich in seiner inneren Gefühlswelt rahmen. Das sonderbare Wechselverhältnis der beiden Frauen ist Ingmar Bergmans „Persona“ (1966) nachempfunden. Ingrid und Martha sehen sich Max Ophüls „Brief einer Unbekannten“ (1948) auf DVD an und im Kino am Lincoln Center läuft – rein zufällig – Roberto Rossellinis „Reise in Italien“ (1953). Almodóvar appelliert mit seinem sanften Melodram an Achtsamkeit und gegenseitiges Mitgefühl. Ohne Zweifel eine wertvolle Botschaft, nicht nur für Krisenzeiten.
The Room Next Door läuft seit dem 24. Oktober 2024 in den deutschen Kinos. Im Vertrieb von Warner Bros. 106 Minuten.