Filmreihe

„Riefenstahl“ – Triumph des Archivs

Ein Dokumentarfilm rollt die Geschichte um Leni Riefenstahl neu auf und will endgültig beweisen, dass die Filmemacherin eine Nationalsozialistin war. Dennoch scheitert das Projekt von Sandra Maischberger, weil eine Einordnung nicht stattfindet.

Von Jonas Hey; Bild: © Majestic Filmverleih

Die Doku lebt von Gegensätzen. Oft werden Szenen aus der NS-Zeit gezeigt und dann Interviews aus der Nachkriegszeit gegengeschnitten, um durch den Kontrast auf die Lügen von Riefenstahl hinzuweisen. So bezeichnet Riefenstahl den Film „Triumph des Willens“ als Appell für Frieden in Europa, obwohl mehrfach marschierende Truppen und gegen Ende ein riesiger Truppenaufmarsch zu sehen ist.

Historisch Interessierten und einer breiten Öffentlichkeit ist seit Jahren bekannt, dass Leni Riefenstahl eng mit dem Nationalsozialismus verbandelt ist. So drehte sie einen Film über den NSDAP-Parteitag 1934 in Nürnberg und zwei Filme über die Olympischen Spiele 1936.

Wozu braucht es nun noch einen zweistündigen Dokumentarfilm, der genau dies belegt? Das würde man am liebsten die Produzentin Sandra Maischberger fragen. Denn die bekannte Moderatorin ist Initiatorin des Projektes. Sie traf Riefenstahl 2002 zu ihrem 100. Geburtstag und drehte eine Reportage über sie. Nach eigenen Angaben war sie mit den Antworten nicht zufrieden und nahm sich vor, später eine ausführliche Aufarbeitung zu produzieren. Nachdem Riefenstahls Erben ihren Nachlass einer Stiftung übergeben hatten, begann Maischberger mit der Aufarbeitung und 2018 stieß der Regisseur Andreas Veiel mit seinem Team dazu.

Verzicht auf Interviews

Diese Vorgeschichte sollte man kennen, um den Film zu verstehen. Klassische TV-Dokumentationen à la Netflix, Arte oder NTV bestehen aus Archivmaterial und Experteninterviews. Logischerweise sollen die Aufnahmen für das meist unwissende Publikum eingeordnet werden. Auf diese Interviews haben die Macher von „Riefenstahl“ aber vollständig verzichtet. Der Film besteht ausschließlich aus Archivmaterial. Dies ist überhaupt nur möglich, weil Leni Riefenstahl über 700 Umzugskartons voller privater Filmaufnahmen, unveröffentlichtem Material aus NS-Zeit, aufgezeichneten Telefonaten und vielem mehr hinterlassen hatte. Der Film fühlt sich an wie eine Zusammenfassung des Materials.

Bei dieser Form der Darstellung entstehen zwei Probleme: Erstens fehlt eine Struktur und zweitens fehlt der Kontext. Die fehlende Struktur schlägt sich vor allem in einer fehlenden Chronologie nieder. Teilweise finden Sprünge aus der NS-Zeit in die 1970er Jahre oder aus der Nachkriegszeit in spätere Jahrzehnte statt. Dies ist äußert verwirrend und wird nicht durch Einblendungen von Jahreszahlen gelöst. Zwar gibt es einen „Sprecher“, der ab und zu erklärende Hintergrundinformationen liefert, aber er ordnet nicht ein. So wird gegen Ende erklärt, dass Riefenstahl in den 1990er Jahren vor demselben Wasserfall zu sehen ist, wie zu ihrem Welterfolg „Das blaue Licht“ von 1932. Hingegen wird nicht erklärt, wie die Aufnahme entstand und was Riefenstahls Intention dahinter war.

Ein Enthüllungsfilm

Die ganze Idee des Films basiert darauf, mit Riefenstahls eigenen Worten offenzulegen, dass sie eine Lügnerin und sehr wohl Nationalsozialistin war. So gibt es Aufnahmen von Riefenstahl im Haus von Hitler oder Goebbels, die ein enges Verhältnis nahelegen. Dem wird eine Interviewaufnahme entgegen geschnitten, in der Riefenstahl nach dem Krieg behauptet, sich niemals mit Goebbels privat getroffen zu haben. Dass sich aus Goebbels Tagebuch mehr als zehn Treffen rekonstruieren lassen, lehnt sie als Unwahrheit ab und bricht das Interview ab.

Hitler, Göbbels und Riefenstahl bei einem privaten Treffen.

Für ihren letzten Film „Tiefland“ rekrutierte Riefenstahl während des Krieges Roma aus einem Zwangslager bei Salzburg. Nach den Dreharbeiten kamen die Roma zurück ins Lager und einige wurden im Konzentrationslager Auschwitz ermordet. In Interviews stritt Riefenstahl zeitlebens ab, von dem Schicksal der Roma gewusst zu haben. Zuletzt filmte sie Szenen, welche beim Überfall der Wehrmacht auf Polen entstanden. Dabei soll sie bei einem Dreh gesagt haben: „Schafft die Juden weg“, was von einer Wehrmachtseinheit so verstanden wurde, dass die Juden noch am selben Tag erschossen wurden. Auch von diesem Vorfall will Riefenstahl später nichts gewusst haben.

Diese drei Beispiele sind nur einige von mehreren schockierenden Gegenüberstellungen aus dem Dokumentarfilm. Doch gerade bei dem Fall aus Polen wird vom Sprecher nur angesagt, dass ein Wehrmachtsoffizier sich diese Aussagen erinnert habe. Hier hätte man sich nun ein Interview gewünscht: Wer war der Offizier? Sind seine Aussagen glaubhaft? Gibt es Akten über die Morde? Mit all diesen Fragen lässt der Film den Zuschauer allein.

Sichere Verurteilung

Man fragt sich, warum der Film in solch eklatanter Weise vom Industriestandard abweicht und sich eine Einordnung schenkt. Die einzige Antwort scheint zu sein, dass Regisseur und Produzentin so tief im Sumpf der Akten suchten, dass sie überzeugt von Riefenstahls Schuld waren. Sie waren sich sicher, dass das Filmmaterial ausreichen würde, um Riefenstahl als Lügnerin darzustellen. Ob dies gelungen ist, muss jeder Zuschauer für sich entscheiden. Dies hängt wohl vor allem vom Vorwissen der Person ab – denn der Film ist nicht in der Lage, ein eindeutiges Zeugnis abzuliefern.

Der Film feierte bei den Filmfestspielen von Venedig im August 2024 seine Premiere und kam am 31. Oktober in die deutschen Kinos. Der Film wird von Majestic Filmverleih vertrieben.

Für dich vielleicht ebenfalls interessant...

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert