Bildung ist immens wichtig, das wissen wir alle. Sie gutzuheißen, ist kein gewagter Take und in Filmform könnte das schnell in Sentimentalität enden. Éric Besnards Tragikomödie schafft es aber darüber hinaus und trumpft mit Vielschichtigkeit auf.
Von Pavel Fridrikhs; Bild: © Neue Visionen Filmverleih
Wir sehen das ländliche Frankreich des späten 19. Jahrhunderts. Ein Sprecher aus dem Off, den man nie sieht, trägt der Lehrerin Louise Violet auf, in ein kleines Dorf zu reisen, um dort eine Schule zu eröffnen. Die Kamera verweilt ununterbrochen auf Louise, der Ton des diktierenden Mannes ist verlogen-wohlwollend – Louise solle sich glücklich schätzen, dass sie diese Chance erhält. Die Begegnung zeigt ein klares Machtgefälle zwischen den Figuren. Schnell wird klar: In der Vergangenheit von Louise schlummert etwas, das im Laufe des Films zur Sprache kommen muss; etwas, das darüber hinausgeht, dass sie in einer Zeit der starren Geschlechterrollen ungewöhnlich emanzipiert auftritt. Aber ihre Fähigkeiten sind anscheinend gefragt.

Nun sollen nämlich per Gesetz alle Kinder lesen und schreiben lernen – und natürlich auch die Werte der Französischen Republik beigebracht bekommen. Auf dem Land angekommen, steht Louise jedoch vor gravierenden Herausforderungen: Das Dorf ist der frisch Zugezogenen gegenüber skeptisch, schließlich werden die Kinder auf den Feldern ihrer Eltern dringend gebraucht.
Ein generischer Beginn
Damit scheint der Handlungsbogen von „Louise und die Schule der Freiheit” von Anfang an klar: Louise muss das Dorf und vor allem die Kinder für sich gewinnen, um ihr Ziel als Lehrerin zu erreichen. Sie stößt dabei auf Hindernisse wie Kinder, die nicht lernen möchten, Fremdenhass und die Diskriminierung als Frau… Aber das alles stimmt nur halb: Diese Inhalte könnten leicht einen kompletten Film füllen und sich über die 110 Minuten Laufzeit ziehen, doch Regisseur Besnard entscheidet sich anders.

Der obige Handlungsbogen ist im ersten Drittel des Films in groben Zügen schon abgeschlossen: Louise wird warm mit dem Bürgermeister des Dorfes, führt trotz Strapazen, Wind und Wetter mit jedem einzelnen Menschen dort ein persönliches Gespräch und erntet so ihr Vertrauen. Mit einem Kind fängt es an und im Laufe der Wochen besuchen immer mehr fleißig ihren Unterricht, ohne große Komplikationen.
Facetten, Schichten, Charakterentwicklung
Und darin liegt die zentrale Stärke des Films: Er gibt sich nicht damit zufrieden, die obige, etwas generische Handlung in Spielfilmlänge zu erzählen, sondern nutzt das nun neu etablierte Setting der gebildeten Lehrerin im lernbereiten Dorf, um die Figuren weiterzuentwickeln. Natürlich ist dabei Louises Vergangenheit ein zentrales Element, aber auch ihr komplexes Verhältnis zum Bürgermeister, Kinder mit handwerklichem Interesse und Eltern, die angesichts der wirtschaftlichen Not verzweifeln. Diese Fülle an Handlungssträngen grenzt an ein Übermaß, aber weil sie recht natürlich miteinander verwoben sind, gerät das dem Film nicht zum Nachteil.
Der Film wird den Fässern, die er aufmacht, weitestgehend gerecht, und schwächelt nur im dritten Akt. Dort überschlägt sich die Handlung und neigt sich stärker der zuvor mit Bravour umgangenen Sentimentalität zu. Auch Louise trifft darin leider eine Entscheidung, die aus ihrer Persönlichkeit herausfällt und dabei die Message des Films etwas unterminiert. Ohne sie an dieser Stelle zu verraten: Die Entscheidung hängt damit zusammen, wo Louise ihren Platz in der Welt sieht.

Das Ende tut den Qualitäten von „Louise und die Schule der Freiheit” aber dennoch kaum Abbruch. Die liegen vor allem in der Ruhe, die der Film ausstrahlt und die im Widerspruch zu den sozialen Konflikten zu stehen scheint: Sowohl die Kameraführung als auch die Musik wirken sehr bedacht und angenehm entspannend. Die oftmals neblig-verregnete Hügellandschaft, in der sich die Handlung abspielt, kommt voll zur Geltung und wirkt wie eine Ergänzung des Schulalltags mit seinem Trubel und Wandel. Die Musik von Christophe Julien tritt derweil kaum aktiv in den Vordergrund, überspitzt die Szenen nicht mehr, als sie muss. Das ist bei Filmen wie diesem ein Pluspunkt, denn auch ist dafür gesorgt, dass die Sentimentalität nicht überhand nimmt..
Sinnliche Entschleunigung bei schlichtem Schauspiel
Verglichen damit sind die schauspielerischen Performances solide, stechen aber nicht sonderlich hervor. Alexandra Lamy als Louise Violet sowie Grégory Gadebois als der Bürgermeister Joseph sind die tragenden Rollen und machen ihre Arbeit gut, wenn auch nicht herausragend. Die übrige Cast fügt sich in weiten Teilen gut in das Setting ein, mehr aber nicht – höchstens Jérémy Lopez ist noch hervorzuheben, der als Bauer Rémi nach Louises Akzeptanz im Dorf die zentrale leidtragende Figur ist und dann auch seine eigene charakterliche Entwicklung durchläuft.
Und im Grunde ist Rémi auch das Sinnbild von „Louise und die Schule der Freiheit”, denn er ist ein Spielball seiner Umwelt, seiner Launen und nicht zuletzt des Wetters. Er ist ein begabter Bauer und arbeitet hart, hat aber nie die Bildung und damit die Mittel an die Hand bekommen, um unabhängiger von seinem Umfeld zu werden und seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Der Junge, der neben Violet auf dem Titelbild zu diesem Artikel abgebildet ist, ist sein Sohn. Am Ende erhält er vielleicht die Möglichkeit, mehr oder zumindest anders zu werden als sein Vater. Genau das macht Bildung so unfassbar wertvoll und das ist eine Message, die der Film erfolgreich rüberbringt.
Der Film kam am 10. April in die deutschen Kinos und wird von der Neue Visionen Filmverleih GmbH vertrieben. In und um München könnt ihr ihn sowohl in französischem Originalton als auch in der deutschen Synchronisation sehen.