Sie ist „Münchens größter kostenloser Club“ und sie fand heute statt: die Krachparade. Ein Tag jeden Frühsommer, der zeigt: Lärm ist nicht nur Störfaktor, sondern Gemeinschaft – und damit die Antwort auf Münchens steigende Mieten und schrumpfende kulturelle Freiräume. Julia Richter und Jonathan Schock von der Initiative Mehr Lärm für München verraten, wie sie die Krachparade seit 2014 auf die Beine stellen.
Das Interview führte Patricia Leuchtenberger; Bild von back 2 zero productions
Die Krachparade steht für lautstarken Protest und Ausdruck. Was sind die Kernbotschaften, die ihr mit dem Lärm vermitteln wollt?
Jonathan: Dass es Lärm nicht nur als Bedrohung gibt, sondern dass Lärm etwas Schönes ist. Wo Menschen zusammenkommen, wird gelacht, gibt es Musik, wird getanzt. Und das geht nach unserem Verständnis mit einer gewissen Lautstärke einher. Das ist eines unserer Kernanliegen. Gentrifizierung bewirkt oft das Gegenteil: Sie verdrängt Orte des Lebens und Lachens, wie Kinderspielplätze oder Kneipen. Wir wollen auch an diesem einen Tag im Jahr eine Möglichkeit schaffen, den städtischen Raum einzunehmen, zu betanzen, und einem Tag subkulturellen Akteuren eine Möglichkeit geben, sich die Straßen zurückzuerobern.
Julia: Dem kann ich fast gar nichts mehr hinzufügen, außer: Wir denken, dass der Lärm auch ein Mittel gegen Mietenwahnsinn sein kann. Das zeigt sich auch sehr schön in unserem Motto: „Lärm rauf, Miete runter“.
Was macht die Krachparade besonders?
Julia: Die Krachparade vereint zahlreiche Initiativen und Kollektive, die gemeinsam auf die Straße gehen, das macht sie besonders. Dass wir es schaffen, dass sie alle miteinander demonstrieren. Ich würde außerdem behaupten: Die Krachparade ist eine der Demos in München, die am meisten Spaß macht.
Jonathan: Ich würde definitiv sagen: Münchens lauteste Demo. Und wir sind Münchens größter mobiler und kostenloser Club für einen Tag.
Wie ist die Idee zur Krachparade entstanden?
Julia: Sie ist aus der Verdrängung der Schwabinger 7 aus der Feilitzschstraße 7 entstanden. Dagegen gab es Protest aus der Kulturszene, weil dieser Ort mal wieder einer Luxusimmobilie weichen musste und durch stilles Gewerbe ersetzt worden ist. Das war eine traditionsreiche Kultkneipe, die mal wieder Kapitalinteressen weichen musste. Der Protest war damals nicht erfolgreich und der Ort wurde stillgelegt. Das passiert in München immer wieder, dass laute, gesellige Orte zugunsten von Gentrifizierungs- oder Luxusimmobilien ersetzt werden. Der Lärm ist am Aussterben und wir müssen dagegen vorgehen.
Was treibt euch an, die Krachparade zu organisieren?
Jonathan: Die Antwort ist simpel: weil wir es können. Und: Der Lärm hat keine Lobby und darum sind das wir.
Julia: Es ist schwierig, Menschen zu finden, die sich dauerhaft für solche Dinge engagieren. Wir machen es, weil es sonst keiner tut. Wir freuen uns übrigens sehr über neue Mitglieder, die unsere Initiative unterstützen wollen.
War das schon immer so, dass ihr so eine positive Resonanz bekommen habt? Wie hat sich die Krachparade in den letzten Jahren entwickelt?
Jonathan: Wir haben lange wenig Resonanz bekommen, weil wir einfach sehr klein waren. Letztes Jahr war die Parade zum ersten Mal über zwei Kilometer lang und verharrte auch lange an einem Ort. Das fällt auf und dadurch bekommt man mehr Sichtbarkeit, positiv wie negativ.
Julia: Natürlich bekommen wir auch immer Mails danach, die sich über den Lärm beschweren und das Bedürfnis nach Ruhe äußern. Diese Bedürfnisse sind beide da und das wollen wir auch niemandem in Abrede stellen. Aber unser Anliegen bleibt wichtig: Es gibt ein Ungleichgewicht, das wir sichtbar machen wollen.
Welche Herausforderungen habt ihr bei der Krachparade?
Jonathan: Es gibt viele Regeln, die wir einhalten müssen – und einige Freiheiten, die uns überraschen. Während es in bayerischen Clubs keine festen Begrenzungen für Lautstärke gibt, gelten für Demonstrationen klare Dezibelvorgaben, die oft schwer umzusetzen sind. Letztes Jahr wollte das Kreisverwaltungsreferat die mit einer Handy-App messen, die aber nicht über 85 Dezibel hinaus anzeigen konnte – das habe ich dann der Frau auch erklärt. Es war eine skurrile Situation! Aber Lautstärke ist nicht unsere einzige Herausforderung: Müllvermeidung erfordert strikte Planung, und oft gibt es zu wenige Polizeikräfte, um den Verkehr zu regeln. Hinzu kommt der Aufwand, ausreichend Ordner*innen zu finden, die für Sicherheit sorgen. Gleichzeitig stemmen wir logistische Aufgaben – von der Wagenkoordination bis zur Streckenplanung. Und während wir das alles umsetzen, bleibt Straßenlärm, der oft viel lauter ist als unsere Parade, weiterhin ungeregelt. Das zeigt die Widersprüche, mit denen wir jedes Jahr umgehen müssen.
Was ist für euch der denkwürdigste Moment, den ihr bei einer Krachparade bisher hattet?
Jonathan: Für mich war es letztes Jahr das Abschlussset der Krachparade. Einfach weil wir es das erste Mal geschafft hatten, was schon länger unser Traum war: dass wir zehn Wägen der Kollektive nebeneinander vor der Bavaria platzieren, als eine breite Wall of Sound. Da hatte ich das Gefühl, das erreicht zu haben, wo wir mit der Krachparade hin wollten.
Julia: Ich mag immer sehr gerne den Moment, wenn mir bewusst wird, wie lang die Parade ist und wie viele Menschen daran teilnehmen, durch München ziehen und Spaß haben. Besonders, wenn die Parade durch die Maximilianstraße zieht. Der Kontrast ist für mich faszinierend: hier die Parade, laut und voller Leben, und dort die Maximilianstraße, die für Münchens stille Schickeria und geregelten Luxus steht. Das zeigt so schön, dass München eben nicht nur das ist, was alle denken. Und was ich total liebe: Wenn die Securities in den teuren Prada-, Gucci- oder was-auch-immer-Läden anfangen, zu tanzen und total abfeiern, dass die Krachparade vorbeifährt.