In einer Überblicksausstellung widmet sich das Haus der Kunst der taiwanesischen Künstlerin Shu Lea Cheang.
Von Paul-Anton Schulz-Isenbeck; Bilder: © Haus der Kunst/Milena Wojhan
Im Treppenhaus zur Nordgalerie ist man kurz nicht ganz sicher, ob es bloß Zufall ist, dass die neue Ausstellung im Haus der Kunst ausgerechnet an Valentinstag eröffnet wurde. Ihr Titel „Kiss Kiss Kill Kill“ flackert einem immerhin von roten, wulstigen Lippen entgegen. Schriftzug und Lippen sind aus Neonlichtröhren geformt und eigentlich eine Requisite aus Shu Lea Cheangs Spielfilm „Fresh Kill“ von 1994. In dem Film hängt das Neonschild hinter einem Bartresen, an dem Industriearbeiter sich darüber unterhalten, wie die Zivilisation von ihrem eigenen, entsorgten Müll heimgesucht wird.
Im Haus der Kunst dagegen durchbricht das rote Flimmern die Dunkelheit über der monumentalen Treppe, die die Besucherinnen und Besucher in die Ausstellungsräume im Obergeschoss führt. Spätestens nachdem hier die Eintrittskarte gescannt wird und man den ersten Raum betritt, ist klar, dass die symbolischen Anspielungen (Lippen, Küssen, rotes Licht) auf den amerikanischen Valentinstagskitsch keine romantische Stimmung erzeugen sollen, sondern auf eine Ausstellung hinführen, die in ihrer sinnlichen Intensität und intellektuellen Komplexität zum Fühlen und zum Denken gleichermaßen auffordert.
Künstlerische und intellektuelle Experimente

„Kiss Kiss Kill Kill“ präsentiert den ersten umfassenden Überblick von Shu Lea Cheangs Werk. Die Taiwanesisch-amerikanische Künstlerin hat in den 1980er-Jahren in New York studiert und in der dortigen Filmszene gearbeitet. Seitdem experimentiert sie mit digitalen Technologien und Netzwerken der Spätmoderne. Im Haus der Kunst resümieren die Kuratorinnen Sarah Johanna Theurer und Laila Wu nun die Ergebnisse dieser künstlerischen und intellektuellen Experimente: Sie haben Werke und Artefakte aus den letzten drei Jahrzehnten des Schaffens Shu Lea Cheangs versammelt und zu drei, jeweils raumfüllenden Installationen kombiniert.
Dabei lassen sich die Einzelwerke kaum noch als solche identifizieren. Statt für sich selbst zu stehen, dienen sie als Strukturmomente in komplexen Systemen, innerhalb derer eine klare Unterscheidung zwischen einzelnen Objekten weder erwünscht noch möglich zu sein scheint. Shu Lea Cheang interessiert sich nicht für die Dinge in ihrer Autonomie, sondern für die Infrastrukturen und Organisationsmechanismen in die sie eingewoben sind. Die Installation „Home Delivery“ blickt etwa darauf, wie spätmoderne Gesellschaften Lebensmittel produzieren, verteilen und konsumieren: Kleine WLAN-geleitete Roboter transportieren standardisierte, braune Take-Away-Boxen entlang der immer gleichen Lieferrouten und verströmen dabei synthetische Essengerüche. (Das täglich wechselnde „Menü“ ist online einsehbar). Die Pappschachteln türmen sich an den Wänden des Raumes als fragile Müllskulpturen.
Spielerische Dystopien
Digitalität und Müll spielen auch für die Installation „Portal Porting“ eine Rolle. Ein mit Graffiti besprühtes, verbranntes Autowrack in der Mitte des Raumes ist umgeben von Baumstämmen und Ästen, auf denen Shiitake-Pilze wachsen, auf denen wiederum Festplatten befestigt sind. Auf die Wände sind altmodische Browserfenster projiziert, in denen ein Textverarbeitungsprogramm Mailinglisten in Einzelteile zerlegt und die Buchstaben auf einen digitalen Kompost regnen und so kleine grüne Sprossen wachsen lässt.

Das alles wirkt zum Teil gruselig dystopisch, zum Teil auf beunruhigende Art und Weise lustig, etwa wenn in der Installation „Spoken Words“ das Herumdrücken auf einer Computertastatur dazu führt, dass eine Frauenstimme über Lautsprecher Begriffe („dildo“, „lick“, „porno“) säuselt, die von textgenerierenden KI-Modellen regelmäßig zensiert werden. Lässt man sich auf diese Absurditäten ein, besucht man nicht nur Ausstellungsräume, sondern erlebt Kunstlandschaften, die einen jeweils spezifischen Sound, eine eigene Stimmung, zum Teil sogar eigene Gerüche haben. Anonyme Lieferdienste, künstlich intelligente Sprachfabriken, digitale Mülldeponien. Shu Lea Cheangs Installationen lassen in den kreativen Kosmos einer Künstlerin eintauchen, deren intellektuelle und künstlerische Experimente im besten Sinne herausfordernd sind.
Die Ausstellung „Kiss Kiss Kill Kill“ ist noch bis zum 3. August 2025 im Haus der Kunst zu sehen. Der Eintritt für Studierende kostet 5,- EUR