Kaffeesatz

Auf dem Weg zum Café

Kaffee verbindet. Kaffee trinken kann die Grundlage und Gelegenheit für so vieles sein. Man trifft sich zum Kaffee trinken mit (noch) fernen Bekannten, mit den engsten Freund:innen, zum ersten Date oder um sich zu trennen. Man kommt ins Gespräch miteinander, lacht, weint, philosophiert und teilt Persönliches. Diese Kolumne will einige der Geschichten, die beim Kaffee erzählt werden, teilen und damit das Gefühl des „Kaffeetrinkens“ einfangen.

P.S.: Tee darf auch getrunken werden.

Von Annika Stanitzok

Ich bin eine weiße, deutsche Studentin aus dem Mittelstand mit abgeschlossenem Master queer, ja, und eine Frau. Aber weder meine Familie noch ich hatten je Geldprobleme. Das nur vorweg, weil ich denke, dass diese privilegierte Position meine Überlegungen im Rest des Textes stark beeinflusst. 

Es ist ein kälterer, nicht ganz regnerischer Dienstagnachmittag, als ich die Straße zum Café herunter laufe. Ich bin auf der Suche nach einem Ort, wo ich mich ein bisschen hinsetzen kann, um ein bisschen zu schreiben. Gerne mit Hintergrundgemurmel, gerne mit einer Tasse Kaffee neben mir. Also ein Café. Auf dem Weg höre ich Musik und nehme nur bedingt wahr, was um mich herum passiert. Bis ich in Blickkontakt mit dem Obdachlosen an der Ecke trete. Eingemummelt in eine Decke und einen Schlafsack sowie ein Körbchen vor sich stehen. Ich schaue schnell weg. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass er mit mir redet. Meine Musik ist zu laut, um zu verstehen, was er sagt. Ich nehme die Kopfhörer nicht ab. Ich bleibe nicht stehen. Meine Hand spielt mit dem Geldbeutel in meiner Jackentasche und ich weiß, dass ich ausnahmsweise mal Kleingeld dabei habe, aber ich hole es nicht raus. Ich gehe weiter. 

Als ich meinen Kaffee geholt habe, die Tasse warm in meinen unterkühlten Händen, kreisen meine Gedanken immer noch um die Beinahe-Begegnung. Ich hätte Geld dabei gehabt, ich hätte ihm etwas davon abgeben können. Warum habe ich das nicht getan? Zuerst rede ich mir ein, dass es daran liegt, dass es ja unfair allen anderen Obdachlosen gegenüber gewesen wäre, denen ich vorher begegnet bin und auch nichts gegeben habe. Außerdem sind alle anderen Leute um mich herum auch nicht stehen geblieben. Dann denke ich mir, da ich ja in einem Umwelt- und Gesellschaftsforschungszentrum arbeite, tue ich mit meinem Job schon genug, um strukturelle Benachteiligungen aufzudecken; da muss ich nicht jedem einzelnen helfen. Außerdem habe ich schon ein paar Mal an Marienkäfer e.V. gespendet. 

All das sind aber in dieser konkreten Situation nur Ausreden. Warum habe ich ihm wirklich nichts gegeben? Ich denke mir ein anderes Szenario aus. Was wäre, wenn er nicht nach Geld, sondern nach Zeit gefragt hätte? Erstaunlicherweise, glaube ich, hätte ich mich lieber ein paar Minuten zu ihm gesetzt und ihm zugehört, als ihm Geld zu geben. Zeit und Aufmerksamkeit ist etwas, was ich Leuten oft und gerne schenke, Geld dagegen ist etwas, was mir beigebracht wurde zu sparen. Vielleicht steckt dahinter sogar eine Kernidee des Kapitalismus: Zeit ist etwas Entbehrliches (vor allem für weiblich sozialisierte Personen), Geld muss man horten.

Vielleicht ist das aber auch zu weit gedacht. Ich glaube, in dem Moment, als ich an dem Obdachlosen vorbei gegangen bin, war ich einfach überfordert und habe mich auf meine Gewohnheiten verlassen, Gewohnheiten, die davon geprägt sind, wie sich die Leute aus meinen sozialen Kreisen tendenziell verhalten. Ich habe mich zwar schuldig gefühlt, weil ich in eine Jacke eingewickelt war und gleich in einem warmen Café sitzen würde, und er hier auf der Straße sitzen bleiben würde. Aber geändert habe ich nichts. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, etwas zu ändern. Auf dem Rückweg bleibe ich stehen, breche die Gewohnheit und gebe ihm das Geld für einen eigenen Kaffee. Vielleicht setze ich mich sogar kurz zu ihm?

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