Ein ambivalenter Held muss in einem Bandenkrieg eine Person retten. Die Handlung kommt Ihnen bekannt vor? Uns auch. „Havoc“ erzählt sie uns dennoch.
Von Jonas Hey; Bild: © Netflix
Blaulichter, eine wilde Verfolgungsjagd durch die Straßen einer Großstadt und dann auf eine Autobahn. So rasant beginnt der neue Actionfilm „Havoc“ von Regisseur Gareth Evans. Grund ist der Diebstahl von Drogen durch eine maskierte Gang, deren Verfolgungsjagd erst mit dem Tod eines Polizisten endet. Havoc beginnt chaotisch und bleibt es.
Pfusch vom Meister
Doch eigentlich hätte alles anders kommen können. Denn der Regisseur Evans hat sich mit dem Action-Meisterwerk „The Raid“ einen Namen gemacht. Darin folgt der Zuschauer über Minuten atemlos indonesischen Kampfsportlern, wie sie sich ungeschnitten verprügeln. Diese meisterliche Kampf-Choreografie ist legendär geworden. Jeder neue Actionfilm seit 2011 muss sich damit messen und sie alle scheitern daran. Nun hat Evans ein größeres Budget erhalten und die Fans hofften auf mehr The Raid, aber sie wurden enttäuscht.
Nur in einer Handlungssequenz in einem Club erkennt man den alten Evans in längeren Kampfsequenzen. Doch sonst ist nichts geblieben. Die Kamera fliegt wild durch die Gegend und bleibt nie lange genug an einer Person, um eine Choreografie erkennen zu können. Man fragt sich, ob Evans durch einen Doppelgänger ersetzt wurde. Zum Teil liegt dies wohl an umfangreichen Nachdrehs und einem verspäteten Erscheinen. Auch scheinen die Kampfsportprofis zu fehlen.
Splatter statt Action
Was dem Film an Choreografie fehlt, macht er vor allem durch eines wett: viel Blut. Wo in anderen Actionfilmen verschämt weggeschnitten wird, bleibt die sonst wacklige Kamera starr auf eingeschlagenen Köpfen und durchlöcherten Körpern hängen. Dies steht im Kontrast zu John-Wick- und Jason-Statham-Filmen, die sich zwar durch Brutalität auszeichnen, diese aber „effizient“ einsetzen: Die Gegner fallen nach einzelnen gezielten Schüssen tot um. In „Havoc“ allerdings wird meist das ganze Magazin in eine einzelne Person geschossen. In Computerspielen nennt man das einen Overkill, also eine Übertötung. Stets geht es dabei darum, den Gegner jenseits des Todes zu verletzen. Doch eine solche Bestrafung für böse Taten über den Tod hinaus reicht als Erklärung bei „Havoc“ nicht aus.
Ein wildes Durcheinander
Vielmehr ist dieser Film passend zu seinem Namen Chaos (englisch: havoc). Das beginnt schon mit der Handlung, in der mehrere Stränge verwoben sind: Der Polizist Walker (Tom Hardy) soll den Sohn des Bürgermeisters (Justin Cornwell) retten, weil er zuvor mit seinen korrupten Kollegen eine Anklage gegen den Bürgermeister (Forest Whitaker) verhindert hatte. Dazu spielt der Film an Weihnachten und Walker kommt einfach nicht nach Hause zu seiner von ihm getrennt lebenden Familie. Außerdem geht es noch um die chinesische Mafia, deren Oberhaupt erschossen wurde und die den Sohn des Bürgermeisters und seine Gang verdächtigt. Diese Handlungsstränge sind chaotisch, woran wohl Evans als Drehbuchautor schuld ist. Ähnlich wie vor einigen Wochen bei Robert Eggers und „Nosferatu“ zeigt sich, dass ein Meisterregisseur manchmal ein miserabler Schreiber ist.
In diesem Chaos aus Action, Overkills, verwirrender Handlung und verwackelter Kamera verliert der Zuschauer schnell die Orientierung. „Havoc“ hat weder einen roten Faden noch eine tiefergehende Message. Davon sollte man die Finger lassen und sich stattdessen „The Raid“ und „The Raid 2“ ansehen (zurzeit bei Amazon Prime). Dort erlebt man statt Chaos noch handgemachte Action.
Der Film wurde am 25. April in das Programm von © Netflix aufgenommen.