„Die Fotografin“ erzählt die bewegende Geschichte der Kriegsreporterin Lee Miller und bietet alles, um als einer der besten Filme des Jahres zu gelten: Frauenpower, die auch vor der Front des 2. Weltkrieges nicht zurückschreckt, ein legendäres Foto – aufgenommen in Adolf Hitlers Badewanne – und eine Kate Winslet in absoluter Bestform.
Von Johanna Mayer; Bilder: © Annie Leibovitz/Lee Miller
Es ist ein Foto, das die Welt verändert. Zu sehen ist Lee Miller, ehemaliges Fotomodel, Kriegsreporterin und Fotografin, die ganz nonchalant ein Bad im Badezimmer „des Führers“ am Prinzregentenplatz in München nimmt. Im Hintergrund lehnt ein Bild von Adolf Hitler, im Vordergrund stehen Millers Stiefel, die Badematte ist schwarz vor Dreck. So ungezwungen das Bild erscheint, so legendär ist seine Bedeutung für die Nachwelt und die Art, wie die Reporterin die Nazis vorführt.
Doch wer war diese Lee Miller, die sich in der Badewanne des größten Kriegsverbrechers aller Zeiten ablichten ließ? Antworten darauf erhält man in „Die Fotografin“, ein Film, der die fesselnde Lebensgeschichte einer ungewöhnlichen, inspirierenden Frau erzählt.
Es gibt Wunden, die man nicht sieht
„Die Fotografin“ spielt zunächst in Südfrankreich zu Beginn des 2. Weltkrieges, wo Lee Miller (Kate Winslet) ihren Ehemann, den Künstler Roland Penrose (Alexander Skarsgard), kennenlernt und mit ihm nach London geht. Dort beginnt sie bei der British Vogue zu arbeiten, doch je länger der Krieg dauert, desto mehr fühlt Miller sich dazu verpflichtet, über die Ereignisse vor Ort zu berichten und diese für die Nachwelt festzuhalten. Zusammen mit ihrem Kollegen, dem Reporter David E. Scherman (Andy Samberg), reist sie – allen Widerständen trotzend – nach Frankreich an die Front und dokumentiert dort die Schrecken des Krieges und die Befreiung Paris von den Deutschen.
Schließlich fassen sie und Scherman den Entschluss, in das besiegte Deutschland zu reisen. Die Reise gestaltet sich als Fahrt durch die Hölle: Großstädte liegen in Schutt und Asche, die Landschaft gleicht einer unbewohnbaren Einöde. Nahe der Stadt Dachau werden die wahren Ausmaße der Hölle erst greifbar: Als die beiden das Konzentrationslager Dachau erreichen, offenbart sich ihnen ein Anblick, der über jegliche Vorstellung des Grauens hinausgeht – Züge, die die Deutschen noch wegschaffen wollten, werden sichergestellt; in den Waggons das, was von den KZ-Häftlingen noch übrig ist. Lees Fotografien halten dabei fest, was sich mit Worten kaum beschreiben lässt, zugleich wird diese Reise Miller selbst bis an ihr Lebensende nicht mehr ruhen lassen.
Eine Ode an den Feminismus
„Die Fotografin“ überzeugt nicht nur durch seine historische Bedeutung für die Nachwelt und seine einfühlsame Darstellung der Ereignisse. Vielmehr ist der Film ein Porträt über eine Frau, die jeglichen Steinen, die ihr in den Weg gelegt wurden, trotzt, die sich nicht den patriarchalen Strukturen der 40er-Jahre anpasst und die durch ihren Mut und ihre Hartnäckigkeit Großes leistet. Für die Hauptrolle könnte wohl keine Schauspielerin geeigneter sein als Oscar-Preisträgerin Kate Winslet („Der Vorleser“), die in dem Film ihr ganzes schauspielerisches Können unter Beweis stellt, Lee Miller als unglaublich vielseitige, inspirierende Frau darstellt und damit ein ungeheuer lebendiges Porträt der Fotografin schafft.
Winslet selbst sagt über die Fotografin: „Sie ist eine Inspiration dafür, was man erreichen kann, was man ertragen kann und was man tun kann, wenn man sich traut, das Leben fest in die Hand zu nehmen und es mit Vollgas zu leben.“ Vor allem die Erfahrungen der Frau in den 1940er-Jahren ist hierbei den ganzen Film über ein Thema, das immer wieder aufgegriffen wird: Millers eigene traumatische Missbrauchserfahrungen in der Kindheit, Frauen, die sich amerikanischen Soldaten widersetzen und fast vergewaltigt werden, Frauen, die – ohne zu wissen warum – zu Kollaborateurinnen ernannt und dementsprechend bestraft werden. Und schließlich ein junges Mädchen, das das KZ überlebt hat und in Millers Kamera blickt, als wäre sie schon viel zu lange auf dieser Welt: Szenen, die unter die Haut gehen und doch erst begreiflich machen, welche Hürden Frauen damals – und auch heute noch – nehmen müssen.
Die Macht der Kamera
Es gibt eine Szene in „Die Fotografin“, die im Kopf bleibt, vielleicht noch mehr als alle anderen. Es ist der Moment, in dem Lee Miller herausfindet, dass ihre Bilder aus Deutschland, vor allem die aus dem KZ Dachau, in der British Vogue nicht veröffentlicht werden sollen. Sie schnappt sich eine Schere und beginnt sämtliche Aufnahmen zu zerstören, rasend vor Wut. Ihre Kolleginnen versuchen sie aufzuhalten, doch am Ende sind von einem großen Teil der Schwarz-Weiß-Filme nur noch winzige Schnipsel übrig. Ihre Chefin beteuert, sie habe für die Veröffentlichung der Fotos gekämpft. „Nicht genug“, sagt Miller. Eine Schlüsselszene, in der deutlich wird, welche Bindung Miller zu ihren Fotos hat und für wie wichtig sie es hielt, dass diese Bilder des Grauens unter die Menschen kommen.
Wie recht sie damit hatte und welche Opfer sie persönlich für die Entstehung der Fotos brachte – das wird besonders in den Szenen klar, in denen Miller mit ihrem Sohn redet und es zunächst so scheint, als wären sich die beiden unheimlich fremd. Doch hinter jedem Foto steckt eine Geschichte und je mehr Miller erzählt, desto kleiner wird der Abstand zwischen Mutter und Sohn – bis er schließlich ganz verschwindet.
Der Film feierte im September 2023 auf dem Filmfestival Toronto Premiere und kam am 19. September 2024 in die deutschen Kinos. Er wird von StudioCanal Germany vertrieben.