Girl on the Go

Der gelangweilte Workaholic (2): Eine Reisekolumne von Leonie Stoll

Eine Kolumne über die Achterbahnfahrt der Kulturen, Erfahrungen und Lernprozesse meiner letzten 5 Lebensjahre. Komm mit zu den unterschiedlichen Stationen meiner beruflichen und persönlichen Reise durch die ganze Welt – neben meinem Online-Studium.

Text und Bild: Leonie Stoll

DER GELANGWEILTE WORKAHOLIC oder ERST UNTERFORDERT, DANN SELBSTVERSCHULDET ÜBERFORDERT IN GRAZ

Genug Vitamin D – wieder mehr Zeit für Protein B(rain)? Klar, nach gut 10 Monaten sonnengeküsster Auszeit muss das ja so sein – dachte ich zumindest. Denn irgendwie ist es ja nach dem Abitur noch nicht so ganz vorbei mit der Schullaufbahn, folgt man der gesellschaftlichen Norm. Noch während Mittagspausen unter Palmen suchte ich also nach Studienrichtung, Studienplatz und Studentenwohnung. Fix gesagt und getan, am Ende meiner Zeit als Kinderanimatuerin war ich immatrikulierte Studentin mit einem Nebenjob in einer Bäckerei und einem durch persönliche Kontakte organisierten Mietvertrag.

Österreich zum Verlieben

Und wo? Wie in Episode (1) nachzulesen, mit Herz und Kopf geklärt, die Heimatstadt meines damaligen festen Freundes: Graz. Mehrmals bin ich von den Kanaren in ein Flugzeug gesprungen, habe Ihn dort besucht und die Kulturhauptstadt Österreichs tatsächlich kennen und lieben gelernt. Ihre Bewohner*innen sind gemütlich und genüsslich – von Maroni bis Marillenknödel hat Essen, beziehungsweise vorallem essen gehen, einen hohen Stellenwert, gleichzeitig ist der Grazer gut betucht und perfektionistisch. Die Stadt ist von der Architektur her bergig-schön und
auf Dauer doch recht überschaubar, sowie von den Lebenserhaltungskosten her billig. Wenn man 20 Minuten mehr im Badezimmer oder beim Shoppen anstatt in Großstadt-Hektik investieren möchte und dabei fließig tratschend von zahlreichen Möglichkeiten bezüglich Theater, Museen und Co profitieren will, dann kann man es hier lange aushalten. Und alle Studierenden schienen bei meinen Besuchen so schön entspannt, aber ausgelastet und zufrieden beim Spritzer-Trinken und auf dem Campus philosophieren.

Die Euphorie schwappt um in tödliche Langeweile

Ich kam im September an und hatte erst einmal einen Kulturschock. Ich war es seit meinem Abitur gewohnt, mehr als 12 Stunden am Tag durchgehend unter Menschen zu sein, meinen Schlafplatz tatsächlich auch nur zum Schlafen zu nutzen sowie immer etwas zu tun zu haben – und sei es nur die nächste Bastelvorlage oder die nächste Gästekonversation. Ich kam von einem, für mich als overthinking-gefährdeten Kopfmenschen sehr angenehmen Zustand des ,,ohne eigene Planung immer beschäftigt sein“ in ein Loch von ,,Ja, heute hast du 2 Stunden hier und 3 Stunden dort einen Termin, der Rest des Tages gehört dir.“

Denn das Semester lief gerade erst an und allgemein steht wohl kaum zur Debatte, dass kaum ein Student 14 Stunden am Tag Verpflichtungen hat, organisiert er sich diese nicht selbst. Ich hatte schon von Fuerteventura aus Mitgliedschaften in Theater- und Teakwandoo-Gruppen, sowie ein Ehrenamt bei der Frauenhilfe und im Radio organisiert, aber auch hier war der Beginn eher schleppend: Hier mal ein Treffen, aber in der nächsten Woche schon wieder ein Feiertag, Kollege A noch im Urlaub und Kollege B krank, etc. Eigentlich normal, aber ungewohnt für mich, den IMMER etwas zu tun gab es trotzdem nicht.

Außer, ich legte bei Allem, was ich tat extra Engagement und Perfektionismus an. Und das war das, was für mich immens toxisch sein sollte. Denn durch Übereifer vermieste ich es mir nicht nur mit neuen Kontakten, sondern hatte auch einige Tage, die mich immens schlauchten und in ein hektisches Teufelsrad warfen.

Der Ausweg aus der Tretmühle

Gegen November, nach einigen sehr hektischen, aber auch von lehrreichen Erkenntnissen geprägten Wochen in Graz, kamen einige veränderungsbringende Realisationen: Ich bin kein Mensch für das Germanistik Studium und auch nicht für das Vollzeit-Studium in Präsenz. Denn ich bin komplett am liebsten ein selbstbestimmter, aktiver Lerner der sich die Liebe zur Literatur und zum Schreiben eher als Hobby behalten und nicht durch tägliche Überdosen verleiden sollte. Und ich liebe die Hotellerie, das All Inclusive und immer unter Menschen sein, das zum Strahlen bringen und den Geruch von Reinigungsmitteln.

Außerdem arbeite ich lieber 45 Stunde die Woche und lerne 15, als andersherum. Also rufe ich meine alten Arbeitgeber an und bewerbe mich für die Ausbildung ,,Hotel- und Gastgewerbsassistenz“.  Gesprochen, gesetzt und geplant (mit viel VISA-Stress!) für den ersten Februar. Erst einmal in den USA, in Hudson. Hier schlägt es uns also in der nächsten Episode hin, und dort angekommen erzähle ich euch erstmal nicht von langwierigen Lehrlingsjahren, sondern von spannender Freiwilligenarbeit.

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